Full text: Geschichte der Residenzstadt Cassel

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hervorragenden Anteil gehabt hatten, so kann es nicht wunder nehmen, wenn 
ihnen und den übrigen, gewiß an der Erhebung mit beteiligt gewesenen Zünften 
jetzt ebenso wie dem Kat das Urteil gesprochen wurde. Auf die Dauer von 
mindestens drei Jahren wird alle Jnnung in hiesiger Stadt aufgehoben, 1 ) 
sie wird den Fremden zu freiem Handel aufgetan und die Aufsicht über die 
zum Verkauf gebrachte Ware zusamt dem Jnstitut der Handwerksmeister be 
seitigt. Ebenso der bis dahin um der Kontrolle willen gebotene Verkauf in 
offenen Ständen. Ob wieder Jnnungen nach Ablauf der Frist fein sollen, 
hängt ganz von dem Ermessen des Landgrafen ab. 
Die Aufhebung der Gilden und die Eröffnung des freien Handels ge 
schah zweifellos in der Absicht, die wohlhabenden Kaufmannsfamilien finanziell 
zugrunde zu richten. Wenn die Maßregel damit begründet wird, daß „die 
unseren verstorben sin in den steden, und um eines gemeinen Nutzes willen“, so 
mag es wohl fein, daß jene sich allzu exklusiv gegen die Aufnahme neuer Mit 
glieder verhalten hatten. Allein die Kaufleute hatten ihren Jnnungsbrief 
von 1323 nicht vom Landgrafen, sondern von Bürgermeister und Kat, und 
nicht einmal die Zustimmung des Landesherrn war, wie bei dem der Bäcker 
von 1324, eingeholt worden. Die Aufhebung desselben war also ein reiner 
Akt der Willkür, der aber gerade den Beweis liefert, daß die grundstürzende 
Umgestaltung aller bisherigen Verhältnisse in der Stadt und der vernichtende 
Schlag gegen die Katsfamilien nur geschehen konnte, wenn Landgraf Hermann 
sich auf den größten Teil der Bevölkerung seiner Hauptstadt zu stützen in 
der Lage war. Seit den Tagen der gewaltsamen Erstürmung der Burg muß 
also entweder die Stimmung zugunsten Hermanns umgeschlagen sein, oder 
er mußte Vorkehrungen getroffen haben, die ihn zum absoluten Herrn der 
Stadt machten. Vielleicht ist beides der Fall gewesen. 
Daß gar manches im argen gelegen habe bei der Geschlechterherrschaft, 
ist wohl schwerlich in Abrede zu stellen. Denn neben der Keformation der 
Verwaltung geht auch in unserem Edikt eine solche des Gerichtsverfahrens 
her, die auf erhebliche Mißstände schließen läßt. War doch der Kat gleich 
zeitig Kichterkolleg! Wenn nun mit einem Schlage alles Gewohnheitsrecht 
dahier abgeschafft und das Kaiserrecht eingeführt wird, 1 2 ) so ist dies, da man 
unter Kaiserrecht vornehmlich römisches Kecht verstand, ein bedeutender Schritt 
weiter auf der Bahn zum absoluten Territorialstaat. Sodann aber konnte nach 
1) Tlebelthau: Denkw., S. 39 (Z. H. 6., Bd. 13). 
2) Stölzcl, Adolf: Die Entwickelung des gelehrten Richtertums, S. 168. Kaiser 
recht, gewöhnlich gleichbedeutend mit dem Schwabenfpiegel, enthält die Rechtserlasse 
aller Kaiser, der römischen wie der deutschen.
	        
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