58
hervorragenden Anteil gehabt hatten, so kann es nicht wunder nehmen, wenn
ihnen und den übrigen, gewiß an der Erhebung mit beteiligt gewesenen Zünften
jetzt ebenso wie dem Kat das Urteil gesprochen wurde. Auf die Dauer von
mindestens drei Jahren wird alle Jnnung in hiesiger Stadt aufgehoben, 1 )
sie wird den Fremden zu freiem Handel aufgetan und die Aufsicht über die
zum Verkauf gebrachte Ware zusamt dem Jnstitut der Handwerksmeister be
seitigt. Ebenso der bis dahin um der Kontrolle willen gebotene Verkauf in
offenen Ständen. Ob wieder Jnnungen nach Ablauf der Frist fein sollen,
hängt ganz von dem Ermessen des Landgrafen ab.
Die Aufhebung der Gilden und die Eröffnung des freien Handels ge
schah zweifellos in der Absicht, die wohlhabenden Kaufmannsfamilien finanziell
zugrunde zu richten. Wenn die Maßregel damit begründet wird, daß „die
unseren verstorben sin in den steden, und um eines gemeinen Nutzes willen“, so
mag es wohl fein, daß jene sich allzu exklusiv gegen die Aufnahme neuer Mit
glieder verhalten hatten. Allein die Kaufleute hatten ihren Jnnungsbrief
von 1323 nicht vom Landgrafen, sondern von Bürgermeister und Kat, und
nicht einmal die Zustimmung des Landesherrn war, wie bei dem der Bäcker
von 1324, eingeholt worden. Die Aufhebung desselben war also ein reiner
Akt der Willkür, der aber gerade den Beweis liefert, daß die grundstürzende
Umgestaltung aller bisherigen Verhältnisse in der Stadt und der vernichtende
Schlag gegen die Katsfamilien nur geschehen konnte, wenn Landgraf Hermann
sich auf den größten Teil der Bevölkerung seiner Hauptstadt zu stützen in
der Lage war. Seit den Tagen der gewaltsamen Erstürmung der Burg muß
also entweder die Stimmung zugunsten Hermanns umgeschlagen sein, oder
er mußte Vorkehrungen getroffen haben, die ihn zum absoluten Herrn der
Stadt machten. Vielleicht ist beides der Fall gewesen.
Daß gar manches im argen gelegen habe bei der Geschlechterherrschaft,
ist wohl schwerlich in Abrede zu stellen. Denn neben der Keformation der
Verwaltung geht auch in unserem Edikt eine solche des Gerichtsverfahrens
her, die auf erhebliche Mißstände schließen läßt. War doch der Kat gleich
zeitig Kichterkolleg! Wenn nun mit einem Schlage alles Gewohnheitsrecht
dahier abgeschafft und das Kaiserrecht eingeführt wird, 1 2 ) so ist dies, da man
unter Kaiserrecht vornehmlich römisches Kecht verstand, ein bedeutender Schritt
weiter auf der Bahn zum absoluten Territorialstaat. Sodann aber konnte nach
1) Tlebelthau: Denkw., S. 39 (Z. H. 6., Bd. 13).
2) Stölzcl, Adolf: Die Entwickelung des gelehrten Richtertums, S. 168. Kaiser
recht, gewöhnlich gleichbedeutend mit dem Schwabenfpiegel, enthält die Rechtserlasse
aller Kaiser, der römischen wie der deutschen.