so denke wie die Bürgerschaft, und sprach die feste Überzeugung aus, daß
die Soldaten nicht auf ihre Brüder im bürgerlichen Kleide schießen würden,
mahnte aber daran, Reibungen und Exzesse nach Kräften zu vermeiden.
Zum Schlüsse erhob sich der neue Oberbürgermeister Hartwig, einmal um
sich als solchen vorzustellen und dann, um mitzuteilen, daß die städtischen
Behörden eine Petition ähnlichen Inhalts beschlossen hätten, zu deren Über
reichung ihnen auf morgen, den 6. März, Audienz zugesagt sei. Er bat, es
bei dieser Petition bewenden zu lassen, sein Antrag wurde jedoch abgelehnt
und beschlossen, die der Bürgerschaft möglichst zu gleicher Zeit mit der der
städtischen Körperschaften dem Landesherrn zu überreichen.
In der nächstfolgenden Hackt wurden alle Üorbereitungen für den fol
genden Tag getroffen, der, wie man fühlte, eine große Entscheidung bringen
mußte. Man rüstete sich — trotz Seidlers beruhigenden Worten über die Stim-
mung des Militärs — auf einen blutigen Kampf; denn der wegen seiner bru-
talen Gesinnung allgemein verhaßte Scheffer war noch immer im Amt, und
niemand wußte, daß ihm bei der tosenden Brandung der wilderregten Volks-
leidenschaft die Stimmung völlig umgeschlagen war. Er reichte auf den drin
genden Rat seines von Marburg herbeigeeilten Bruders, des Professors der
Theologie, noch in selbiger Nacht dem Kurfürsten sein Entlassungsgesuch ein
und verließ, trotzdem er krank gelegen hatte, die Stadt noch vor Tag heimlich
und unerkannt, um sich vor der Wut des Volkes zu retten, der er sonst sicher
zum Opfer gefallen wäre. Sein letzter Rat an den Kurfürsten war der ge-
wesen, daß es das beste sei, wenn er nachgebe.
So erschien der entscheidungsvolle Tag. Schon am frühen Morgen wogten
wieder gewaltige Volksmassen durch die Straßen und füllten die Hauptplätze
der Stadt. Gegen 9 Uhr erschien die Geistlichkeit in vollem Ornat auf dem
Königsplatz, um eine Audienz zu erbitten. Sie wurde von allen Seiten um
ringt, und Herbold, der alte Uolksmann, der lebhaft begrüßt zur Ordnung
und Gesetzlichkeit ermahnt hatte, trat auf die Herren zu und ersuchte sie, sich
der Sache des Volkes anzunehmen, was — wie später verlautete — auch mit
gutem Erfolge geschah. Da die Aufregung in den Straßen einen immer be
drohlicheren Charakter annahm, so wurde das kurfürstliche Palais von der
Bürgergarde umstellt; gleichzeitig verfehlte die Mitteilung der eben ausge
gebenen amtlichen Casseler Zeitung, daß die bisherigen Minister entlassen
und der Regierungsdirektor Lotz zu Marburg zum Vorstand des Ministeriums
des Innern sowie der Regierungsdirektor von Baumbach zu Rinteln zum Justiz-
minister ernannt seien, nicht, beruhigend zu wirken, ebenso wie die fernere
Nachricht, daß die Stände zur Beratung eines Gesetzes über die Freiheit der