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so durfte Cassel sich allerdings rühmen, als erste deutsche Stadt bereits feit dem
Jahre 1812 im Besitze einer Schule gewesen zu sein, welche den Charakter
und die Ziele einer Realanstalt hatte. Unter der westfälischen Regierung
war es der mit der Leitung des Unterrichtswesens betraute Staatsrat Baron
von Leist, der mit dem Gymnasium dahier eine Mittel- oder Bürgerschule
verband, die nach dem Muster der französischen Leoles secondaires organi
siert, die Realfächer pflegte und auch unter Suabedissens Leitung gute Fort
schritte machte, so datz sie von der hessischen Regierung gern als höhere Bürger
schule beibehalten und weiter gepflegt wurde, bis in den 30 er Jahren des
vorigen Jahrhunderts die allgemeinen Zeitumstände, insbesondere aber eine
unsachgemäße Leitung ihre allmähliche Auflösung herbeiführten. 1 ) So handelte
es sich diesmal weniger um eine Reuschöpfung als um eine zweite Begründung.
Vornehmlich regte es sich auf wirtschaftlichem Gebiet. War hier schon
der Anschluß Kurhessens an das preußische Zollsystem, der sich am 25. August
1831 vollzog, ein bedeutender Schritt weiter, so wurde, als endlich am 1. Mai
1834 der große preußisch-deutsche Zollverein zum Abschluß kam, der Ent-
faltung der Kräfte im weiten Maßstabe Raum geschaffen, und die Einzeil-
staaten lösten sich aus dem Banne ihrer Isolierung. Der erste Schritt auf dem
Wege zur deutschen Einheit war getan.
Tief war der Schiffsverkehr gesunken. An der Abneigung Hannovers,
eine Verbesserung des Fahrwassers der Weser vorzunehmen, die natürlichen
sowohl wie die künstlichen Flemmnisse zu beseitigen und dem durch Zölle
schwerbelasteten Stromverkehr aufzuhelfen, waren alle bisherigen Versuche
in dieser Richtung gescheitert und scheiterte auch ein mit großen Hoffnungen
im Jahre 1843 unternommener Versuch der Firma Wüstenfeld in Münden,
einen regelmäßigen Dampferverkehr von dort hierher ins Leben zu rufen.
Es blieb bei der Probefahrt. Jetzt setzte man alle Hoffnungen auf den Eisen-
bahnbau, für dessen Verwirklichung seit 1835 in der Stadt Cassel ein eigener
großer Verein zu wirken bemüht war, aber auch lange vergeblich, da Staats-
rat Sehester die Ansicht vertrat, daß Kurhessen als ein ackerbauendes Land
der Eisenbahnen nicht bedürfe. Doch der Landesherr lenkte noch ein, ehe es
zu spät war und Hessen vom Verkehr umgangen wurde; durch Patent vom
2. Oktober 1844 wurde das Frankfurter Bankhaus Bernus mit noch zwei
andern ermächtigt, eine Aktiengesellschaft zu begründen, um den ersten Eisen-
bahnbau in Kurhessen von der Grenze Thüringens über Cassel nach West
falen, mit einer Zweigbahn an die Weser bei Karlshafen, zur Ausführung
1) Knabe: Die älteste selbständige Realschule in der Provinz Hessen-Nassau
(Z. H. 6. Bd. 28, Seite 1—13).