Full text: Geschichte der Residenzstadt Cassel

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keinem Hofe ein. Etn eigentümliches Schauspiel in der Tat, ein solcher Krieg, 
bis dahin ohne Ernst geführt, zu dessen ganzem Charakter es patzt, daß sich 
in unserer Stadt ein satirisch veranlagter Schöngeist fand, dem der Stoff so 
sehr behagte, datz er ihn in Reime geschmiedet, der Nachwelt überlieferte. 
Es war der Steuerrat Gottsched, ein Bruder des Leipziger Professors und 
Kunstdichters, der von der Anwesenheit des fröhlichen Prinzen also singt: 
Uns soll ein neuer Schuß nun durch Soubisen blühn. 
Duc d’Ayen ziehet ab, und Ludwig schickt dir ihn, 
Den Helden! Und vielleicht regiert er dich mit Güte: 
Ja, sein Dermählungsband, von hessischem Geblüte, 
Hat, weil er liebreich war, die Proben dargelegt, 
Daß ihn manch schmachtend Herz zur Gegenhuld bewegt. 
Mars liebt nicht stets den Krieg; mit Bällen, Operetten 
Ward nun der Adelstand bei köstlichen Banketten 
Den halben Winter durch vergnüget und ergötzt, 
Ja, mancher Schönen Reiz bestrickt in Brand gesetzt. 
Bellona lärmt nicht stets; sie will auch nach den Kriegen, 
So wie die Venus ruht, in Schwanenbetten liegen. 
Drum, Cassel, war auch dir ein solches Glück beschert. 
Allein, wie mancher rief: es hat zu kurz gewährt! 
Soubise mußte fort! und seht, viel Seufzer waren, 
Die ihn begleiteten, als er davon gefahren. 
Sein hier zu vielem Ruhm geführtes Regiment 
Hat, weil es (nämlich Paris) feindlich war, Paris uns früh entwendt. 
Dort muß er Rechenschaft von Rotzbachs Siege geben. 
Er hat uns nicht gedrückt: der gute Prinz soll leben! 
Die Kehrseite der Vergnügungen war ein erheblicher Plangel an Lebens 
rnitteln, insbesondere an frischem fleisch, infolge einer durch französisches 
Vieh eingeschleppten Hornuiehseuche, der der Herdenbestand ganzer Ort 
schaften zum Opfer fiel. An manchen Tagen war in der ganzen Stadt kein 
Pfund fleisch zu haben. Das war der Krieg, den Hessen seit länger als hundert 
Jahren nicht mehr kennengelernt hatte! Im Januar 1758 wurde auch wieder 
die Kontributionsschraube angezogen und der Befehl erteilt, bis zum 16. den 
Rest der auferlegten Kriegssteuer, mindestens die Summe von 550000 Talern, 
zu erlegen, widrigenfalls mit Plünderung gedroht wurde. In dieser Not wurde 
der Bürgerschaft dahier unter Glockenschlag bekannt gemacht, daß ein jeder, 
was er an barem Gelde in seinem Erwerb missen könnte, aufs Lombard bringe, 
wo der Staat es gegen Sicherheit und fünfprozentige Verzinsung als Dar- 
lehen entgegennehmen werde. So wurden in Cassel in zwei Tagen 50000 Taler 
mühsam zusammengebracht, — ein Beweis, wie wenig die Geldwirtschaft
	        
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