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siger Stadt Cassell, dieselbe vor gänzlichem Untergang zu bewahren, uns billich
angelegen fein lassen; und nachdem wier in sitzendem Raht darüber dilibe-
riret und berührte Gewohnheit dem gemeinen Wesen nützlich und ersprießlich
befunden, als haben wier auch dieselbe kraft dieses nicht allein ernewen
wollen, sondern wier setzen und ordnen auch, daß ein jeder, so hinkünftig in
hiesigen Stadt-Raht als ein Rahtsglied neu erwehlet, uff- und angenommen
wird, gemeine Stadt mit einem silbern vergulten Becher (jedoch nicht unter
zwanzig Gulden) wie obgedacht zu verehren schuldig fein solle.“ Um die Aus
führung dieses Beschlusses nachdrücklicher zu betreiben, erhielt der Stadt
kämmerer die Weisung, den neuen Schöffen ihre „Präsente“ solange einzu
behalten, bis der Becher geliefert sei.
Die Einbehaltung dieser Präsente, worunter außer den Anwesenheits
geldern für Sitzungen und dergl. auch die regelmäßigen Weingeschenke aus
dem Ratskeller verstanden wurden, war gewiß eine gute und praktische Maß
regel, den Säumigen zur Lieferung seines Ratsbechers zu nötigen. Allein das
sich bildende moderne Uerwaltungsprinzip, wenn auch gemütvollere, so doch
unpraktische Formen auszumerzen, ließ (wir wissen nicht, ob auf Anregung
der Regierung) im Jahre 1690 den Magistrat zu dem Beschlusse kommen,
den Becher in eine Geldleistung von 20 Talern umzuwandeln und diesen Be
trag zur städtischen Weinkasse fließen zu lassen, so zwar daß die Zinsen dieses
Einlagekapitals am Ende jeden Jahres den Ratsgliedern ausgeteilt werden
sollten, unter Berücksichtigung des Herrn amtsführenden Bürgermeisters
mit einer doppelten Quote. Tlur ging leider, etwa 20 Jahre später, der Tlüß-
lichkeitssinn der Stadtbehörde noch einen Schritt weiter und versilberte zum
Dorteil des städtischen Weinschanks auch den gesamten Silberschatz der Stadt
im Werte von mehr als tausend Talern. So kam ein zweifellos kunstgeschicht
lich hochwertvoller Besitz abhanden. Außer einigen Salzfässern behielt man
nur die große Ratskanne, den Willkommen von 1658, die heute noch vor
handen ist, und die — in erhaben getriebener Arbeit auf der Außenwand
Poseidon und Amphitrite, von Tritonen, Delphinen und Seerosen umgeben
zeigend, während den Deckel ein Artischockenknopf ziert, — als ein hervor
ragendes Stück hiesiger Goldschmiedekunst gelten muß. Die im Jahre 1652
neu organisierte Gilde durfte auf eine solche seistung stolz sein.
Unter einfachen Uerhältnissen griff man, um den Schlendrian in der
Stadtverwaltung abzustellen, zu einfachen Mitteln. Als 1722, also 43 Jahre
nach dem ersten diesbezüglichen Erlaß des Eandgrafen, dieser noch immer
zu klagen findet, daß seine Residenzstadt Cassel durch bisherige nachlässige
Aufsicht und übel geführte Haushaltung derjenigen, so ihr vorgesetzet fein,