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den Namen Paul du Rys und steht unter dem Geschmack, der bei dem Bau
der Oberneustadt zur Anwendung kam. Aber er war keineswegs der aus
schließliche, und manches schöne Bürgerhaus in der Altstadt ist auch in der ge
dachten Zeit nach den alten Regeln der Baukunst aufgeführt worden. Der
schönste Privatbau, welcher damals entstand, ist das Haus Nr. 19 in der Markt-
gasse (jetzt Schüßenhalle). Ein Stückchen Zeitgeschichte knüpft sich daran.
Im Jahre 1663 war der wohlhabende Handelsherr Hieronymus Schönauer aus
Basel hierher gezogen und hatte das Haus in der Marktgasse bezogen, darin
sich später die Sonnenapotheke befand (Nr. 21). Jm Jahre 1674 kaufte er
das alte Bürgerhaus, das auf der Stelle des Hauses Nr. 19 stand, und in dem
150 Jahre früher der fürstliche Kammermeister Eckhard Ungefug mit er-
staunlichem Fleiß die hessischen Salbücher zusammengetragen hatte, an, ließ
es niederreißen und erbaute das jetzt dort stehende stattliche Haus mit dem
hohen Giebel in später Renaissance mit einem Aufwand und einer Pracht,
die weit über bürgerliche Verhältnisse hinausging. Die schweren messingenen
Türbeschläge waren echt vergoldet, die Türuerkleidungen herrlich geschnitzt,
und im Erdgeschoß zeigt der Plafond des Hauptraumes rechts vom Eingang
eine Venus in halberhabenem, buntfarbigem Stuck, die als ein hervorragen
des Kunstwerk des Barock gelten muß. Ob Schönauer das alles für sich er
baute ? Schwerlich! Denn dazu war er doch nicht reich genug. Der Bau fällt
in die Zeit, wo der junge Landgraf von seiner Mutter über die herkömmliche
Zeit hinaus in der Vormundschaft gehalten wurde. Am Casseler Hofe aber
befand sich in jener Zeit ein Graf von Chauagnac, ehemals französischer Ge
neral, jetzt im Dienste Österreichs und des kaiserlichen Hofes als Gesandter
dahier akkreditiert. Chauagnac benutzte seinen Einfluß auf den jungen
Fürsten, um dessen Mißstimmung gegen die Mutter wegen der allzu langen
Bevormundung zu nähren und den österreichischen Einfluß zu stärken. So
erwartete man, als endlich Hedwig Sophie der ihr liebgewordenen Macht ent
sagt hatte, daß der Franzose die Staatsgeschäfte in die Hand nehmen werde.
Aber Karl war nicht gewillt, eine Vormundschaft gegen die andere einzu
tauschen. Bereits vier Tage nach ihrer Abdikation kann die Landgräfin einem
ihrer Freunde melden: „Dem Höchsten sei Lob, Chauagnac ist nun hin.“ 1 )
— Es ist derselbe Zeitpunkt, wo Herr Hieronymus Schönauer einen Strich
unter seine Baurechnung macht mit dem Vermerk: es sei ihm nicht genehm,
die bereits allzu hoch aufgelaufenen Kosten ferner noch zu buchen. Chauagnac
zahlte offenbar nicht mehr.
1) Rommel Bd. 9. 5. 295, S. 302ff.