Full text: Geschichte der Residenzstadt Cassel

I. 
Älteste Zeit bis zum Aussterben des Thüringer Land- 
grafenhauses (1247) und der Erbauung der neuen Burg 
in Cassel durch Landgraf Heinrich das Kind (1277). 
Am 18. Februar 913, dem Donnerstag nach Invokavit, weilte König 
Konrad von Franken in Cassel. Dem an sich wenig bemerkenswerten Um- 
stand, daß er zwei Urkunden, die eine für das Kloster Hersfeld, die andere 
für die Nonnen in Meschede, 1 ) an hiesigem Orte vollzog, danken wir es, daß 
wir die erste Kenntnis dieses Ortes und seines Namens erhalten. Für unsere 
Stadt wurde der Tag bedeutungsvoll, da er den Ausgangspunkt ihrer Ge- 
schichte bildet, der Geschichte einer jetzt tausendjährigen Entwickelung, welche 
sie allmählich und in wechselvollem Gange bis zu der heute erreichten Höhe 
durchlaufen hat. 
Auf die Fragen: Was war Cassel? Wie sah der Ort aus im Jahre 913? 
versagen die beiden Urkunden jede Auskunft, nur einen Rückschluß gestatten 
sie, nämlich den, daß der König seine Kanzlei mit sich führte, und daß Cassel 
also für einen längeren Aufenthalt des Hofes eingerichtet war. Wir dürfen 
es für einen Königshof halten, wie sie Kaiser Karl der Große die Heerstraßen 
entlang zur Sicherung des Landes hatte anlegen lassen. Wenn auch neuere 
Untersuchungen dargetan haben, 2 ) daß das dem Kaiser zugeschriebene „Capi- 
tulare de villis" nicht von ihm, sondern von seinem Sohne Ludwig dem From- 
men, und nicht allgemein als Krongüter-Ordnung, sondern für dessen fis- 
kalische Güter in Aquitanien erlassen worden ist, so kommt doch zahlreichen 
Bestimmungen desselben ein allgemein zeitgeschichtlicher Wert zu. Und die 
Ortsnamen geben uns eine Bestätigung an die Hand. Wenn das Capitulare 
als den Weideplatz für das Vieh den „brogilo“ bezeichnet, eine mit Gras be- 
standene Niederung; und wenn es vorschreibt, daß alljährlich eine bestimmte 
Anzahl erlegter Wölfe auf einem bestimmten Platze abgeliefert werden soll- 
ten, so erkennen wir in dem „brogilo“ leicht die Gegend, die noch vor wenig 
länger als hundert Jahren der Breul hieß und die Häuserviertel zu beiden 
1) Abgedr. Mon. Germ. hist. Dipl. tom. I, p. 15f. 
2) Dopsch. A.: Die Wirtschaftsentwickelung der Karolingerzeit vornehmlich in 
Deutschland. Weimar, Teil I, 1912. 
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