Full text: Geschichte der Residenzstadt Cassel

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Nachdem Wilhelm VI., der Gerechte zubenannt, die Regierung über 
nommen hatte, war es das ernste Bestreben dieses trefflichen Fürsten, die 
Wunden, die der Krieg geschlagen, zu heilen. Aber die Aufgabe war schwer; 
sie lag ebensosehr auf sittlichem, wie auf wirtschaftlichem Gebiet, denn nicht 
nur lagen Handel und Wandel jetzt darnieder; es galt vor allem, das gänzlich 
verwilderte Volk wieder an Zucht und Ordnung zu gewöhnen. 
Wie dies im einzelnen geschah, können wir hier nicht verfolgen. Nur 
auf einen der wichtigsten Bausteine, die die Regierung des Landgrafen dem 
aus den Fugen gegangenen Staatsgebäude einfügte, sei hingewiesen, auf die 
Schulordnung von 1656. Sie ist zwar an großen Gedanken und Weite des 
Blickes derjenigen des Landgrafen Moritz lange nicht an die Seite zu setzen, 
auf der sie fußt, die aber, bei den alsbald folgenden Kriegsstürmen Früchte 
zu zeitigen, unvermögend gewesen war; jedenfalls entsprach sie den Bedürf- 
nissen der Zeit. Wie sehr auch in unserer Stadt das Schulwesen zurück- 
gegangen war, zeigt eine Klage des Magistrats bei der Regierung aus dem 
Jahre 1635 über die hiesige Stadtschule, daß „die Disziplin und Schulzucht, 
so vorlängst zu sinken angefangen, je mehr und mehr zerfalle, so dafj zu be 
sorgen stehe, wofern diesem ingerissenen übet nicht bald remedirt werden 
solte, daß daraus anders nichts als ein unordentliches, konfus und disfolut 
Wesen, ja barbaries selbsten erfolgen muß." Don da ab wurde es natürlich 
nicht besser, da auch der Lehrerstand vielfach der allgemeinen Verwilderung 
unterlag und die rohesten Sitten von den hohen Schulen mitbrachte. 
Im Jahre 1653 wurde die hiesige Universität nach Marburg zurück 
verlegt, was für den Augenblick keinen Verlust bedeutete. 
Der Superintendent Theophilus Neuberger war am 9. Januar 1656 
gestorben. Er war der Hauptvertreter der freieren reformierten Lehre in 
Hessen gewesen und hatte bei der ihm schon am 8. August 1651 im Tode voraus 
gegangenen Amalie Elisabeth in besonderer Gunst gestanden, wohl weil sie 
als Hanauerin seine religiösen Anschauungen teilte. Nach Neubergers Hin- 
scheiden ging Wilhelm VI. sofort daran, seinem Lande eine neue Kirchen- 
verfassung zu geben, welche geeignet wäre, die beiden Bekenntnisse, die dort 
ziemlich gleichmässig vertreten waren, einander näherzubringen und die 
Spaltung im Lande zu beseitigen. Dies geschah durch die große Kirchen- 
ordnung des Jahres 1657, welche, in die Reformations-, Presbyteriat- oder 
Ältesten-, Konsistorial- und die eigentliche Kirchenordnung zerfallend, zugleich 
den der hessischen Kirche zugrunde liegenden Lehrbegriff enthält und bis auf 
den heutigen Tag zu Recht besteht. Das reformierte Bekenntnis kommt darin 
so wenig zum Ausdruck, daß die Publikation der neuen Kirchenordnung eine
	        
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