Full text: Geschichte der Residenzstadt Cassel

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dessen Privileg ihre Wagegerechtigkeit beruhte, und die sie z. B. veranlaßte, 
im Jahre 1636 den Hökern und Krämern zu verbieten, Klagen in ihren Häu 
sern zu haben, darauf sie mehr als einen halben Zentner wiegen könnten. 1 ) 
Die Kaufleute aber klagen über die Eigenmächtigkeit und Untreue der Zoll 
erheber, die entgegen der Ordnung sich herausnehmen, auch die im lande er 
zeugten und exportierten, ja sogar die im Innern von einem Orte zum an 
dern gehenden Klaren mit dem Lizent zu belegen. Allgemein verlangte man 
Abschaffung der neuen Abgabe, die auch zugesagt wurde. Aber sie blieb. 
Die Korruption der Beamten ist, wie bei den unsicheren Zeiten nicht 
anders möglich, groß. Aber wie bei der allgemeinen Steigerung der Preise 
die Gewerbetreibenden, so wollte man für andere Notstände andere Bevölke- 
rungsklassen verantwortlich machen, die aus jenen Außen zu ziehen suchten, 
wenn auch einen unlauteren. So richtete sich der allgemeine Unwille wegen 
des überhand nehmenden Wuchers gegen die Juden. Auf dem Landtage 
von 1640 war es die Ritterschaft, die diesem laut Ausdruck gab und eine Er- 
neuerung der Judenordnung Landgraf Philipps von 1539 forderte. Die Land- 
gräfin war nicht abgeneigt, darauf einzugehen. Auf den Rat ihres Schwagers, 
des Landgrafen Hermann von Rotenburg, aber beschloß sie, es lieber erst 
einmal mit der Bekehrung der Juden zum Christentum zu versuchen und 
so das Übel gewissermaßen an der Wurzel anzufassen. Damit das Unprak- 
tische und Unerreichbare an die Stelle des wenigstens teilweise Erreichbaren 
sehend, gab sie den Befehl, die Juden zwangsweise zu dem Besuch von christ- 
lichen Vorträgen und Bekehrungspredigten anzuhalten, die der Pfarrer Soldan 
von der Altstädter Gemeinde als der in alttestamentlicher Theologie und im 
Hebräischen am besten beschlagene Geistliche, auf dem Rathause dahier seit 
dem Jahre 1647 abhielt. Die Maßregel, eine wie sich voraussehen ließ, gänz- 
lich nutzlose Quälerei für alle Beteiligten, der auch die hiesige Geistlichkeit 
von vornherein meist ablehnend gegenüber gestanden hatte, wurde erst 1652, 
nach dem Tode der Landgräfin, wieder eingestellt. 2 ) 
Das Jahr 1648 brachte endlich die ersehnten Friedensschlüsse. Zunächst 
den mit Hessen-Darmstadt. Um die Verhandlungen zu Ende zu bringen, 
war der Erbprinz von Darmstadt im März und April hier anwesend, ebenso 
zu gleichem Zwecke Herzog Ernst von Gotha. Am 14. April kam der Ver- 
gleich beider Häuser zustande und wurde am 16. durch einen Dankgottesdienst 
gefeiert. Der große Friedensschluß zu Münster vollzog sich nach siebenjährigen 
1) Siehe Mss. hass. 4° 258 der Kasseler Landesbibliothek. 
2) Näheres bei Brunner: Theophilus Neuberger (Zeitschrift für Kirchengeschichte, 
Bd. 24, S. 573 ff.)
	        
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