Städt. Presseamt
Der blinde Hessen
Wir wollen die großen Traditionen unseres Vol-
kes, seiner Geschichte und die Ueberlieferungen
seiner Kultur in demütiger Ehrfurcht pflegen, als
unversiegbare Quellen einer wirklichen inneren
Starke und einer möglichen Erneuerung in trüben
Zeiten. Adolf Hitler, am 21. März 1933 in Potsdam
Aus Kurhessens Vergangenheit und schöpferischem Leben - Wöchentliche kulturelle Beilage der KLZ - Nr. 8 - Mittwoch, 26. Februar 1936
Die Stifter der Murhard'schen Bibliothek in Kassel
Nicht weit von der Meineckischen Schokoladenfabrik
in der Wilhelmshöher Allee stand das Landhaus der
Familie Murhard. Dazu schreibt A. Lobe im Jahre
1837 in seinem Buche „Wanderungen durch Cassel und
die Umgebung" folgende aufschlußreiche Sätze: „Der
Name Murhard gebietet dem Literatur freunde hier
einen Augenblick zu verweilen und die äußeren An
lagen der im englischen Geschmack ausgeschmückten Gär
ten und das kostbare und kostspielige Innere zu be
schauen, welches letztere hinsichtlich des Ameublements
und der Decorierung fürstlichen Gemächern, wenn hier
auch im Kleinen, nicht nachsteht. Auch an einzelnen
interessanten Gemälden fehlt es darin nicht."
Das Geschlecht der Murhard läßt sich erkundlich bis
1343 Zurückverfolgen. Seine alte Heimat ist die ful-
disch - hessische Stadt Vacha. Die Stammtafel der Fa
milie Muvhard, die auf der Murhard'schen Bibliothek
in Kassel zur Ansicht aufliegt, verzeichnet als ältesten
Ah« Heinrich Murhard, 1346 Bürger zu Vacha. Wenn
wir die Ahnenreihe weiter verfolgen, so stoßen wir
auch auf die Stifter unserer Bibliothek: Friedrich
Wilhelm August Murhard, geboren zu Kassel am 7.
Dezember 1778, gestorben zu Kassel am 29. Novem
ber 1853 und Johann Karl Adam Murhard, geboren
zu Kassel am 23. Februar 1781, gestorben 8. Februar
1863.
Die äußeren Lebensdaten Friedrich Murhards geben
folgendes Bild: Im Jahre 1795 ging er als Student
der Mathematik nach Göttingen, promovierte daselbst
1796 zum Dr. phil. und erhielt ein Jahr später die
Stelle eines Assistenten bei der philosophischen Fakul
tät. Seine „Bibliocheoa mathematica oder Litteratur
der mathematischen Wissenschaften", die 1797—1805 er
schien, war in der gelehrten Welt ein sehr geschätztes
Von Werner Weilanö
Hause am Königsplatz gegenüber einen Spitzelposten
aufstellen, der genau zählen und beobachten mußte, wer
die Gebrüder Murhard besuche.
Wir können an dieser Stelle nur darauf hinweisen,
daß, als Metternich gemäß den Karlsbader Beschlüssen
bestrebt war, die liberalisierende Opposition auch im
Bundestag zu Frankfurt a. M. auszuschalten, Friedrich
Murhard auch wiederum in Frankfurt überwacht
wurde. Daselbst täuschte ein Herr v. Meseritz, der in
Metternichs Diensten stand, Murhards Vertrauen auf
das gröblichste, denn er war es. der den kurhessischen
Polizeigewaltiigen von Manger darauf aufmerksam
machre, daß der Schreiber jener Drohbriefe gegen das
Leben des hessischen Kurfürsten und seiner Maitresse
wohl in Friedrich Murhard M suchen sei. Wir wissen
nicht, was daran wahr ist — verdächtig ist nur, daß
Friedrich Murhard in Frankfurt einen vielfach verdäch
tigten u. verfolgten Johannes Wit gen. v. Dörring bei
sich aufnahm und ihm zur Flucht nach Amerika
half. Als Mittelsmann dieser Flucht stellte sich ein
gewisser Kelch zur Verfügung. Johann Wir teilt
uns in den Fragmenten aus seinem Leben darüber
Näheres mit. Den Kelch beschreibt er als kleinen
jovialen Mann, der sichtlich empört über die Ver
folgungen durch das Metternifche System voller Eifer
sich bereit erklärte, den Johannes Wit sicher nach
Homburg und von da nach Neuyork zu bringen.
Aber dieser Kelch war ein kurhessischer Spitzel, der
es als Pseudo-Amerikaner verstanden hatte, wohl
werden konnte, auf freien Fuß gesetzt. Er wurde je
doch ermahnt, „sich aller Schriftstellerei durch Heraus
gabe von Büchern, Journalen, Zeitungen, sowie durch
Einsendung einzelner Artikel in die öffentlichen Blät
ter gänzlich zu enthalten".
Murhards Schicksal zeigt, wie das politische Leben
in jener Zeit erdrosselt wurde, rückt aber auch die
Machenschaften des Polizeidirektors von Kurhessen in
ein besonderes Licht. Denn zur Erhaltung und Ver
mehrung seines Einflusses auf den Kurfürsten und
zur gewissenlosen Ausbeutung seiner Machtstellung
kam ihm die Nachspürung nach «dem vermeintlichen
Schreiber jener Drohbriefe sehr gelegen.
Im Mittelpunkt der politischen Denkweise Friedrich
Murhards stand immer die Forderung nach kraftvoller
Einheit Deutschlands. Die Beweggründe seiner man
nigfaltigen Aufsätze und Schriften faßt er einmal in
den „Allgemeinen politischen Annalen" zusammen. Zu
gleich schützt er sie gegen alle Anfeindungen seiner
Gegner... „Die große Idee des Vaterlandes für
einen revolutionären Umtrieb zu halten, kann keinem
Staatsmanne einfallen, der ein Deutscher ist, und dem
ein Gefühl der Nationalität beiwohnt." Als anti-
national muß aber „das Bestreben einzelner deutscher
Staaten erscheinen, mit Benutzung günstiger Kunjunk-
turen ein von dem Gesamtverein der deutschen Völker
schaften abgekehrtes selbständiges Dasein zu erringen."
Im Anschluß an die Iulirevolution in Frankreich
1830, setzte dann noch einmal bei Friedrich Murhard
wollendes Vertrauen bei Murhard zu empfangen. Als eine schriftstellerische Periode ein. 1834—1835 erschien
dies dem Johannes Wit durch einige Ereignisse und
zufällige Begebenheiten klar geworden war, war es
aber schon zu spät. Murhard war von dem Frankfurter
Bürgermeister Thomas persönlich gewarnt worden,
daß Intrigen gegen ihn im Gange seien. So beschloß
er, auf das Landgut des befreundeten Grafen Venzel-
Sternau in der Nähe von Hanau zu gehen. Auf dem
Wege dahin mußte er in Hanau ein Stück durch kur-
hessisches Gebiet reisen. Da wurde er im Gasthaus zum
Riesen in Hanau verhaftet und sofort über Fulda nach
Kassel in das Arresthaus gebracht.
Wäre jener Johannes Wit mit verhaftet worden,
so wäre dabei noch eine Summe von 1000 Louisdor,
die auf seinem Kopfe stand, herausgesprungen. Die
Herren von Manger und sein Agent Kelch hatten wohl
damit gerechnet, überdies hätten sie dann auch einen
rechtlichen Grund gegen Murhard gehabt. Friedrich
Murhard mußte acht Monate in Haft verbringen,
dann wurde er nach Stellung einer hohen Kaution, da
kein genügender Grund ferner Jnhafthaltung gesunden
seine „Grundlage des jetzigen Staatsrechts des Kur
fürstentums Hessen" in zwei Bänden. In den „Allge
meinen politischen Annalen" nahm er fortdauernd
Stellung und Kritik zu allen Fragen des öffentlichen
Lebens und des Verfassungsneubaues. Eine Abhand
lung über Staatsgerichtshöfe im Staatslexikon brachte
ihm 1844 noch einmal politische Verfolgungen. Im
Zusammenhang damit wurde er an einem Januar
morgen im Jahre 1844 verhaftet und in rücksichtsloser
Form wie ein Verbrecher durch die belebtesten Stra
ßen Kassels zum Gefängnis geführt. Nach Stellung
einer Kaution von 6000 Talern wurde dann die
Hait. .wieder aufgehoben. Doch erst die Amnestie des
Jahres 1848 gab ihm seine politische Freiheit wieder.
Sein Bruder Johann Karl Adam Murhard beschäf
tigte sich mehr mit volkswirtschaftlichen Fragen. Wir
nennen hier „Ideen über wichtige Gegenstände aus
dem Gebiet der Nationalökonomie und Staatswirt
schaften" (Göttingen 1808); Theorie des Geldes und
der Münze" (Leipzig 1817). Karl Murhard sah seine
Früyjahrssonne in der Galerie des LandgrafenmufeumS.
Aufnahme: Hildebrandt
Aufgabe besonders darin, ,chie im Volke und bei den
Regierungen herrschenden Begriffe über die Finanzen
und namentlich über das Abgabewesen" volkstümlich
zu schildern.
Das Vermächtnis der Gebrüder Murhard ist durch
ihr Testament vom 5. Juni 1845 der Stadt Kassel an
getragen worden. Die Stadt Kassel wurde damit zur
Erbin ihres beträchtlichen Vermögens und sollte aus
den Jahreszinsen eine Bibliothek errichten, die den
Namen „Murhard'sche Bibliothek der Stadt Kassel"
tragen sollte.
Heute steht der schöne Bau am Weinberg und wir
Kasselaner sind stolz darauf, das Eribe der Murhards
verwalten zu dürfen. Die Bibliothek ist gleichsam das
Gedächtnis der Nation und nationale SchrifttM^-
pflege ist heute mehr denn je unbedingte Pflicht des
einzelnen Menschen. Berührung mit dem Volkstum
und Verbindung mit der Zeit stand den Gebrüdern
Murhard als erste Forderung stets vor Augen. Ihr
Erbgut aber ist zur Pflegestätte der Wissenschaft und
des Volkstums und damit zur Bildungsstätte unseres
Volkes geworden.
Friedrich Murhard. Nach einem Gemälde von Glinzer.
Ausnahme: KLZ
Werk. In diese Zeit fällt auch eine große Orient-
reise. In mehreren Bänden „Gemälde von Conftanti-
nopel" und „Gemälde des griechischen Archipelagus"
schildert er seine Eindrücke und Erlebnisse. Während
seiner Dienste in der westfälischen Regierung wurde
er Redakteur des „Westfälischen Moniteur", Biblio
thekar am Museum in Kassel und Präfekt des Departe
ment Fulda. Im Jahre 1813 kehrte dann Kurfürst Wil
helm I. nach Kassel zurück und zur selben Zeit ver
ließ Friedrich Murhard Kassel, um sich in Frankfurt
am Main ganz seinen persönlichen Studien zu wid
men. Hier beginnt nun seine staatsrechtlich-juristische
Tätigkeit. Ehe wir fortfahren zu berichten, wollen wir
uns kurz mit seinem Bruder beschäftigen.
Johann Karl Adam Murhard war ebenfalls Student
und studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Göt
tingen, später in Marburg. Seine äußeren Lebens
daten lassen sich folgendermaßen aneinanderreihen: Im
Jahre 1800 wurde er als Aktuar bei der Oberrentkam-
mer in Kassel angestellt und 1803 zum Wirklichen Kam-
merarchivarius ernannt. 1809 kam er dann als Audi
teur in den westfälischen Staatsrat und hatte 1810 das
Amt des Vorstehers der Abteilung für Handel und
Gewerbe im Finanzministerium inne. Nachdem er noch
im Jahre 1812 Liquidator der öffentlichen Schulden
wurde, kehrte er 1813 wieder zur Oberrentkammmer
als Archivarius zurück und schied 1816 aus kurhessischen
Diensten, nachdem er zum Regierungssekretär in Fulda
ernannt worben war.
Die Gebrüder Murhard waren leidenschaftliche libe
rale Politiker. Wir müssen aber an die Zeit von 1831
zurückdenken, um ihre Gedanken zu verstehen, mit de
nen sie der in Deutschland aufkommenden konstitutio
nellen Idee zum Durchbruch verhelfen wollten. Des
halb waren sie in Regierungskreisen auch mißliebig.
Sie standen ja auch während der langjährigen Kämpfe
der kurhessischen Volksvertretung in dauernder Oppo
sition. Für diese freiheitlichen Anschauungen offen
eintreten, zog aber des öfteren Verleumdungen nach
sich und Spitzelberichte und gefälschte Dokumente tru
gen dazu bei, die mutigen Vorkämpfer der freiheit
lichen Gesinnungen den Polizeiorganen auszuliefern.
In dieser Bespitzelung ist auch der Grund zu suchen,
daß die Brüder Murhard ihren Wohnsitz von Kassel
nach Frankfurt a. M verlegten, denn der berüchtigte
kurhessische Polizeidirektor von Manger ließ ihrem