Wahrheit aber forderte sie auch von Allen, die mit ihr
in Berührung kamen; und wenn Der oder Jener vielleicht
eines ihrer Worte scharf, eines ihrer Urtheile schroff fand, —
es war nicht Laune, es war nicht Unliebe, — es war nur
der Ausdruck einer Persönlichkeit, der es nicht möglich war,
anders zu reden, anders zu denken. Aber gerne und oft
konnte sie hochherzig vergeben, sogar vergessen, wo immer ihr
selten irrender Scharfblick den Kern echt fand.
Nach Wahrheit und nur nach dieser forschte sie auch
mit tiefem Ernste bezüglich der höchsten Fragen, die die
Menschenbrust bewegen. Das ganze Weltall und seine Ge-
setze wie das Wesen der einzelnen Menschenseele, deren sitt-
liche und religiöse Bedürfnisse und wie diesen zu genügen
sei, zumal bei den wissenschaftlichen Errungenschaften unserer
Tage, — das waren ihr vertraute Gedankengebiete, denn
dieser selten hochbegabte Geist war gleich bewandert aus bei-
den Feldern, in einem Maße, wie es wohl wenigen Menschen
vergönnt ist. Aber auch hier wollte sie nichts wissen von
einer Versöhnung auf Kosten der einmal erkannten Wahrheit
und mit festem Muthe opferte sie früher wohl lieb und theuer
gewordene Ideen und Hoffnungen, wo die mit philosophischer
Schärfe und Klarheit gezogenen Folgerungen es von ihr
forderten.
„Einen kleinen Lorbeerzweig",
— so verfügte die hohe Verblichene vor zwei Jahren bezüglich
ihrer Beerdigung und der Zier ihres Sarges:
„Einen kleinen Lorberzweig
Dürft dazu Ihr auch noch legen.
Lorbeer ist ein Siegeszeichen,
Und ich war ein tapf'rer Kämpe,
Wenn's auch Wen'gen nur bekannt;
Wenn der Kampf auch still und einsam
Nur im innern Herzen vorging".