Full text: Abschiedsworte am Grabe der Frau Louise Wilhelmine Emilie Gräfin Bose geb. Gräfin von Reichenbach-Lessonitz

Wahrheit aber forderte sie auch von Allen, die mit ihr 
in Berührung kamen; und wenn Der oder Jener vielleicht 
eines ihrer Worte scharf, eines ihrer Urtheile schroff fand, — 
es war nicht Laune, es war nicht Unliebe, — es war nur 
der Ausdruck einer Persönlichkeit, der es nicht möglich war, 
anders zu reden, anders zu denken. Aber gerne und oft 
konnte sie hochherzig vergeben, sogar vergessen, wo immer ihr 
selten irrender Scharfblick den Kern echt fand. 
Nach Wahrheit und nur nach dieser forschte sie auch 
mit tiefem Ernste bezüglich der höchsten Fragen, die die 
Menschenbrust bewegen. Das ganze Weltall und seine Ge- 
setze wie das Wesen der einzelnen Menschenseele, deren sitt- 
liche und religiöse Bedürfnisse und wie diesen zu genügen 
sei, zumal bei den wissenschaftlichen Errungenschaften unserer 
Tage, — das waren ihr vertraute Gedankengebiete, denn 
dieser selten hochbegabte Geist war gleich bewandert aus bei- 
den Feldern, in einem Maße, wie es wohl wenigen Menschen 
vergönnt ist. Aber auch hier wollte sie nichts wissen von 
einer Versöhnung auf Kosten der einmal erkannten Wahrheit 
und mit festem Muthe opferte sie früher wohl lieb und theuer 
gewordene Ideen und Hoffnungen, wo die mit philosophischer 
Schärfe und Klarheit gezogenen Folgerungen es von ihr 
forderten. 
„Einen kleinen Lorbeerzweig", 
— so verfügte die hohe Verblichene vor zwei Jahren bezüglich 
ihrer Beerdigung und der Zier ihres Sarges: 
„Einen kleinen Lorberzweig 
Dürft dazu Ihr auch noch legen. 
Lorbeer ist ein Siegeszeichen, 
Und ich war ein tapf'rer Kämpe, 
Wenn's auch Wen'gen nur bekannt; 
Wenn der Kampf auch still und einsam 
Nur im innern Herzen vorging".
	        
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