231
Da sie eine Stunde geritten waren, empfand sie heißen Durst
und rief ihrer Kammerjungfer 'steig ab und schöpfe mir mit
meinem Becher, den du für mich mitgenommen hast, Wasser
aus dem Bache; ich möchte gern einmal trinken.' Wenn ihr
Durst habt,' sprach die Kammerjungfer, 'so steigt selber ab,
legt euch ans Wasser und trinkt: ich mag eure Magd nicht
sein.' Da stieg die Königstochter vor großem Durst herunter,
neigte sich über das Wasser im Bach und trank, und durfte
nicht aus dem goldenen Becher trinken. Da sprach sie 'ach
Gott!' da antworteten die drei Blutstropfen 'wenn das deine
Mutter wüßte, das Herz im Leibe that ihr zerspringen.' Aber
die Königsbraut war demütig, sagte nichts und stieg wieder
zu Pferd. So ritten sie etliche Meilen weiter fort, aber der
Tag war warm, die Sonne stach, und sie durstete bald von
neuem. Da sie nun an einen Wasserfluß kamen, rief sie noch
einmal ihrer Kammerjungfer 'steig ab und gieb mir aus mei
nem Goldbecher zu trinken,' denn sie hatte aller bösen Worte
längst vergessen. Die Kammerjungfer sprach aber noch hoch
mütiger 'wollt ihr trinken, so trinkt allein; ich mag nicht
eure Magd sein.' Da stieg die Königstochter hernieder vor
großem Durst und legte sich über das fließende Wasser, weinte
und sprach 'ach Gott!' und die Blutstropfen antworteten wie
der 'wenn das deine Mutter wüßte, das Herz im Leibe
that ihr zerspringen.' Und wie sie so trank und sich recht
überlehnte, fiel ihr das Läppchen, worin die drei Tropfen
waren, aus dem Busen und floß mit dem Wasser fort, ohne
daß sie es in ihrer großen Angst merkte. Die Kammerjungfer
hatte aber zugesehen und freute sich, daß sie Gewalt über
die Braut bekäme: denn damit, daß diese die Blutstropfen