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zernichteten Leben trauerte; er tröstete sich mit dem
Balsam der Zeit und — dem Beispiel seiner verstor
benen Schwägerin, deren Jugendneigung ihm nicht
Geheimniß geblieben, und die doch nicht an unglücklicher
Liebe gestorben war.
Der Kanzler aber mühte sich auf die allererdenk
lichste Weise, sich die Gunst des Mädchens zu er
werben. — Benha nahm solche Bemühungen mit
Würde auf; aber sie glich dem Opferlamm, das dem
Priester, der es mit den Blumen des Feldes geschmückt,
resignirteu Blickes zum Altare folgt. —
. Bald lief die Kunde durch die schöne Wetterau,
Ruthardt's Kanzler, Gunzelin, führt die reiche Erbin
von Hildeberg als Ehegespons heim, und zu Pfingsten
ist Hochzeit. —
Diese Nachricht lockte eine Menge fahrender Sänger
zu dem blühenden Thäte — das sich in sein schönstes
Blüthengewand geworfen, um das Fest zu dem pracht
vollsten seines Gleichen zu machen. Acht Tage vorher
waren schon alle Herbergen des Ortes von ihnen dicht
belagert.
Es war am Vorabend des heiligen Festes. Blässer
als sonst — fast gespenstig — leuchteten Bertha's Wangen
in dem heimlichen Dämmerlicht und trauernd senkte sich
ihr Köpfchen auf den hochwallenden Busen. Ihr Herz
kämpfte den letzten — den schwersten Kampf. Sie
wollte ihren Schwur halten und niemals dem Ver
haßten die Hand reichen. Ein Weg blieb ihr nur noch
offen, sie hatte ihn gewählt, sie hatte ihn verschoben
— im letzten Augenblicke immer noch des Geliebten
wartend. Jetzt war die Stunde gekommen; ehe sie
den schweren Gang jedoch ging, griff sie im Uebermaß
ihres Schmerzes noch einmal zu der Trösterin ihrer
Leiden, der treuen Harfe, präludirte einige Aecorde und
sang mit vor Wehmuth fast erstickter Stimme:
Wo er auch geh' und steh',
Weit über Berg und See,
Weit — ach so weit — so weit
Weilt mein Geist jederzeit
Doch bei dem Freund!
Noch hallten die letzten Accorde von den hohen
Wänden wieder, da ward die Thür aufgerissen, und
auf der Schwelle derselben erschien die kräftige Gestalt
Othlo's.
Wie ein Blitzstrahl aus wolkenlosem Himmel
durchzuckte es deu Sänger, als er die geliebte Schüle
rin , die er, mit den Rosen von dem Wonnemonat
eines Frauenlebens auf den Wangen, zu finden gehofft
hatte, wie einer geknickten Blume wieder begegnete.
„In Thränen, mein Kind?" wagten sich kaum
die Worte über seine Lippen. „In Thränen am Vor
abende Deines Glücks?" —
„O, ich bin zu unglücklich!" rief das Mädchen
und warf sich — unaufhaltsam seinen Thränen freien
Lauf lassend — an die Brust des Lehrers.
Othlo schüttelte die langen Locken seines Hauptes.
„Sei ruhig, mein Kind und erzähle!" Mit väterlicher
Rührung führte er Bertha zu ihrem Sitz zurück und
ließ sich neben ihr nieder.
Sie erzählte ihm die Geschichte ihrer Liebe.
„Hoffe!" sagte er, als sie geendet. „Gott hat
es wohl gefügt, daß er mich noch heute deu gastlichen
Freifitz aufsuchen ließ. Auch ich theile den Verdacht
Deiner Mutter an eine Schurkerei des Kanzlers und
Deines Ohms, und an einen Umstand knüpfe ich die
bestimmte Hoffnung, daß Herigo noch lebt -- daß er
gefunden!"
„Er lebt?" frug das Mädchen in Extase, und wie
die Glut der Feuerlilie lohte es über ihre Wange.
„Ruhig, mein Kind; ich glaube es. Höre! Aus
meiner jüngsten Fahrt kehrte ich auf der Ebersburg
ein. Der reichlich genossene Wein ließ mich nicht
ruhen, und ich trat an das geöffnete Fenster. Pracht
voll deckte der tiefazurblaue, sternengestickte Mantel der
Nacht mit tiefem Schweigen die schlummernde Land
schaft Süße Melodien klangen in meinem Ohr, und
ohne Absicht sang ich mein Lieblingslied:
„Wo ich auch geh' und steh'."
Zu Ende der zweiten Strophe brach ich ab; ich
weiß selbst nicht, aus welchem Grunde. Kaum aber
war mein Gesang verhallt, und das Schweigen der
Nacht füllte die Pause, da klang eine Stimme aus
dem jenseitigen Thurme, hell und kräftig, wie das Echo
in Buchonien's Bergen und beendete das Lied mit der
Strophe:
Wo er auch geh' und steh',
Weit über Berg und See,
Weit — ach so weit — so weit
Weilt mein Geist jederzeit
Doch bei dem Freund!
„Wer mag der Bewohner des Thurmes sein, den
die Wohlthat der Nacht nicht erquickt? Gewiß ein
Gefangener? Woher er mein Lied kennt?" frug ich
mich und bedauerte den Armen noch, als ich mich