Nr. 13
Von eminenter Bedeutung für die Pharmakologie war die Arzneimittellehre des
Pedanios Dioskurides (l.Jh. n. Chr.) in ihren vielfältigen Bearbeitungen, Übersetzun
gen und Überlieferungszweigen. Dioskurides beschrieb systematisch 700 Pflanzen; sein
Werk hatte zunächst keine Abbildungen. Aber schon im 2. Jahrhundert wurde es
bearbeitet, es bildeten sich mehrere Textredaktionen, aber auch verschiedene Bildredak
tionen heraus, wobei sich auch lateinische Zweige des ursprünglich griechischen
Stammes entwickelten. Die ohne Zweifel berühmteste Handschrift ist der Wiener
Dioskurides (Cod. med. gr. 1) der österreichischen Nationalbibliothek, der um 512 für
die byzantinische Konsulstochter Anicia Juliana im Aufträge der Bevölkerung der
byzantinischen Vorstadt Honoratae als Dank für die Erbauung einer Kirche hergestellt
wurde. Dieser Kodex, der zu den schönsten Handschriften der Welt gehört, überliefert
aber nun nicht etwa den Text des Dioskurides, sondern bringt nur einen alphabetisch
geordneten Auszug aus dem Werk, und zwar von 383 Pflanzen. Beigegeben sind jeweils
umfängliche Synonymenlisten. Was die Handschrift so heraushebt, das sind die
Abbildungen, die ja nun freilich nicht der ursprünglichen Arzneimittellehre des
Dioskurides entstammen.
Das Pflanzenbuch des Ps.-Apuleius ist insofern dem Dioskurides vergleichbar, als auch
hier verschiedene Überlieferungsstränge aus der Spätantike herauf ins Mittelalter
führen; allerdings verlaufen sie, was den Text betrifft, in der lateinischen Sprachwelt.
Die Abbildungen - im Gegensatz zum Dioskurides war das Werk wohl von
vorneherein bebildert — orientieren sich an Vorlagen, die zum griechischen Dioskuri-
deskomplex gehören, freilich in römischer Spielart.
Das fälschlich dem römischen Schriftsteller Lucius Apuleius von Madaura (2.Jh.
n. Chr.) zugeschriebene Werk stammt in Wirklichkeit wohl aus dem 3./4. Jahrhundert
n. Chr.; der Autor ist nicht bekannt. Es ist recht gut überliefert, aber auch wieder nicht
so reich, wie wir das von bestimmten anderen pharmazeutisch-medizinischen Schriften
kennen. Die älteste Handschrift stammt noch aus dem 6. Jahrhundert, ist also zeitlich
nicht übermäßig weit vom Wiener Dioskurides entfernt; sie liegt heute in Leiden. Die
Kasseler, zum gleichen Überlieferungsstrang gehörig, entstand nach Bernhard Bischoff
nicht, wie bislang angenommen, im 10., sondern in der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts,
und zwar in der Loire-Gegend. Wie sie nach Kassel kam, ist nicht geklärt. Eine
Herkunft aus Fulda kann man nicht belegen.
Das Werkchen enthält - einschließlich des angehängten Mandragora-Traktates - 131
Pflanzenbeschreibungen, die aus der Aufzählung der Synonyma, der Beschreibung des
Standortes der Pflanze, ihrer medizinischen Eigenschaften und Verwendung, aus
gelegentlichen Rezepten und (mindestens) einer Abbildung bestehen. Der Cassellanus
setzt im Kapitel 21 ein und weist einschließlich der Mandragora 102 Pflanzen auf. Die
Texte sind knapp, auf den praktischen Gebrauch durch Wundärzte oder Laien
zugeschnitten.
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