Full text: Kasseler Handschriftenschätze

Nr. 9 
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antike Aussagen zur Kometenlehre. Im 15. Jahrhundert entstand in Frankreich eine 
gekürzte Version in acht Kapiteln, die dem Autor unseres Textes als Vorlage diente. 
Diese Fassung ist in der Diktion und fachlich vereinfacht. 
Auch die französische, spätmittelalterliche Vorlage enthält Abbildungen, sie sind jedoch 
genau in die entsprechenden Textpassagen eingefügt. Nicht so in unserer und der 
Londoner Handschrift. Dies verbot sich schon deshalb, weil sie von reinen Illustratio 
nen zu zwar ebenfalls informativen, aber doch wesentlich schmückenden Beigaben 
wurden, ganz dem repräsentativen Charakter des Bandes entsprechend. Die Darstel 
lung der Kometen wurde übernommen, neu dagegen ist das Einpassen des Naturschau 
spiels in eine Küstenlandschaft. Im Text beschriebene Wirkungen des Kometen werden 
nach Möglichkeit wiedergegeben. Am deutlichsten ist dies bei der bildlichen Darstel 
lung des Kometen Aurora (Bl. 27 r ). Sein Erscheinen soll Krieg, Feuer, Trockenheit usw. 
signalisieren, und so sind auf der Miniatur brennende Häuser, fliehende Menschen zu 
sehen. 
Aufgeschlagen ist der Beginn des 5. Kapitels mit dem ersten Kometen, dem Miles. 
Voran geht nur eine Miniatur, die Meteore zeigt (Bl. 2 r ). Zunächst beschreibt der Text 
(Bl. 5 V ), welcher Komplexion, also welcher Verfassung, welchem Charakter er im 
Hinblick auf Menschen zuzurechnen ist: nämlich der Venus. Dann folgt die Schilde 
rung des Äußeren: Er ist so groß wie ein Pferd, weswegen er wohl auch das Pferd 
genannt werde, und er durchzieht alle Sternzeichen. Dann kommt das, was natürlich 
am meisten interessiert: sein Einfluß. Dieser Abschnitt ist rot, in einer halbkursiven 
humanistischen Antiqua geschrieben, was die Passage besonders hervorhebt. So 
konsequent wird dies bei den anderen Kometen übrigens nicht durchgehalten. 
Der Miles also zeigt durch sein Erscheinen schlechte Zeiten für Könige und die 
sonstigen Mächtigen der Erde an. Menschen erheben sich gegen die alten Gesetze, 
schaffen neue, es gibt Umwälzungen. 
Betrachtet man sich die Miniatur daraufhin, so fällt neben dem in der Tat prächtigen 
Schweif des Kometen — der übrigens das ganze Übel bewirke bzw. vorbedeute -, der 
gekonnt herausgearbeiteten Abend- oder Morgendämmerung, der fein angedeuteten 
Stadt an der Bucht vor allem die Liebe zum Detail auf, die man nicht ohne Schmunzeln 
entdeckt. Eine Interpretation dessen, was an trüben Aussichten den Reichen prophezeit 
wird, läßt sich leicht aus dem herauslesen, was der Landmann da unter dem Baume tut. 
Die Eule über ihm scheint sich zu wundern. 
Dem Erscheinen von Kometen wird seit alters wegen der Seltenheit dieses Phänomens, 
der Pracht, der Bewegung am unbewegten Himmel, des Farbenspiels usw. höchste 
magische Bedeutung zugemessen, noch mehr als ohnehin schon dem Firmament. Meist 
sieht man Unglücksboten in ihnen, Vorzeichen für den Tod großer Männer, für Krieg, 
Hunger, Pestilenz. Größte Wichtigkeit für den Kometenaberglauben der Antike, des 
Mittelalters und der frühen Neuzeit hatte die erwähnte wissenschaftlich-astrologische
	        
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