Full text: Kasseler Handschriftenschätze

Einleitung 
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Alle Drucke aus der Pfälzer Erbschaft verbrannten im letzten Weltkrieg - es waren vor 
allem kostbare Werke in englischer Sprache und es ist uns heute nur ein geringer 
Trost, daß sie die französische Brandschatzung und Plünderung des Schlosses und der 
Stadt Heidelberg in den Jahren 1689 und 1693 durch die barbarischen Truppen Ludwigs 
XIV. unter Melac auch nicht überstanden hätten 25 . 
Die Handschriften aber wurden 1941, wenn auch teilweise stark beschädigt, aus dem 
Feuersturm gerettet und legen Zeugnis ab von dem immensen Wert dieser Erbschaft: 
die Handschrift der Tironischen Noten etwa (Nr. 20), der fein illuminierte Pergament 
kodex der Weltchronik des Rudolf von Ems (Nr. 33), der berühmte Kasseler Totentanz 
(Nr. 34) oder der dekorative Portolanatlas des Agnese (Nr. 15). Anderes, etwa eine für 
die Literatur- wie die Kunstwissenschaft gleichermaßen wichtige Boccaccio-Hand 
schrift 26 , wird heute in der Deutschen Staatsbibliothek in Ost-Berlin verwahrt: auch 
dies eine Kriegsfolge. 
Handelt es sich bei den bisher vorgestellten Beständen um solche Bücher, die mehr oder 
weniger zufällig, als Folge einer politischen Handlung, die nicht explizit auf den 
Erwerb eben dieser oder jener Büchersammlung gerichtet war, nach Kassel kamen, so 
wuchs der Schatz von derzeit über 1400 handschriftlichen Titeln zur hessischen 
Geschichte aus dem Interesse der Landesfürsten und Landeskinder gleichermaßen. Von 
den Manuscripta Hassiaca ist die Rede, die den größten Block innerhalb unserer 
Handschriftensammlung ausmachen. 
Heute wie damals ist Beschäftigung mit der Historie keine Flucht vor der Gegenwart, 
sondern Standortbestimmung ob politischen, juristischen, kulturgeschichtlichen Cha 
rakters, ohne die niemals eine richtige Einschätzung unserer Umwelt geschehen kann. 
So wenig sentimentale Verklärung der Vergangenheit heutzutage Ausgangspunkt 
ernsthafter Geschichtsschreibung sein darf, so wenig war sie dies in den Anfängen der 
hessischen Historiographie. 
Der Verfasser einer Chronik arbeitete nie selbstlos, nie objektiv sozusagen im Dienste 
der Wissenschaft; er wollte immer etwas erreichen: für den Landesherrn, für die eigene 
Herrschaft, seine Stadt, Gemeinschaft, nicht zuletzt für sich selbst. Es galt, eigene 
Herrschaftansprüche gegen fremde abzugrenzen und zu begründen, womöglich 
Zweifelhaftes unzweifelhaft zu machen, das Besondere eines Gemeinwesens hervorzu 
heben. Dies war auch bei den beiden wichtigsten Geschichtsschreibern Hessens im 
ausgehenden Mittelalter der Fall, bei Johannes Nuhn aus Hersfeld (geb. 1442) und bei 
Wigand Gerstenberg aus Frankenberg (1457-1522), dessen Landeschronik von Thürin 
gen und Hessen hier ausgestellt ist (Nr. 18). Ohne Zweifel war ihm ein gewisser 
Lokalpatriotismus eigen, aber ein Patriotismus, der doch ganz auf die Landesherren 
gerichtet war, wobei er sich um der Sache willen gelegentlich nicht scheute, mahnend 
den Zeigefinger zu heben.
	        
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