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Reinhart Fuchs
Signatur: 8° Ms. poet. et roman. 1
Das kleine mittelhochdeutsche Versepos ist nur in drei Handschriften überliefert,
wovon unsere die älteste ist. Sie wird in der Germanistik unter der Sigle S geführt und
enthält, da fragmentarisch, die Verse 589-660, 697-980, 1523-1796, 1831-1902. Die
beiden jüngeren Redaktionen sind Heidelberg, cpg 341 auf Bl. 167 v —181 v , entstanden im
1. Drittel des 14. Jhs, sowie der gleichzeitige, ehemals Kalocsaer, jetzt Genfer cod.
Bodmer 72, Bl. 162 v —177 v ; sie gehören einer anderen Bearbeitung des Textes an.
Diese beiden Bearbeitungen nennen einen Heinrich den Glichezdre (= Gleißner, einer,
der etwas Vormacht) als Autor. In der Kasseler, dem Original sicher näherstehenden
Fassung ist ausgerechnet die Textstelle verderbt, die hätte Auskunft geben können, ob
sich der Glichezdre auf den Autor oder den Fuchs bezieht. Heute neigt man eher zu
letzterer Ansicht und nimmt an, daß die jüngeren Textzeugen auf nicht einwandfreie
Vorlagen zurückgehen. So findet man das Epos im Verfasserlexikon unter der
Überschrift Heinrich, Verfasser des ,Reinhart Fuchs'.
Über diesen Heinrich, der wohl im Elsaß lebte, ist nichts bekannt. Er gewinnt
ausschließlich durch dieses Werk, freilich auch durch zeitkritische Anspielungen und
eine offensichtliche antistaufische Haltung Kontur. Er muß belesen und juristisch
bewandert gewesen sein, sonst hätte er den Prozeß gegen Reinhart Fuchs nicht so
präzise schildern können.
Inhaltlich fußt das 2266 Verse lange Werk auf Fabelstoffen, die bereits aus der Antike
bekannt sind; ob es allerdings unmittelbar auf den altfranzösischen Roman de Renart
(12.Jh.), eine Sammlung von Tierschwänken, oder mit diesem auf ältere Vorlagen
zurückgeht, wie zuerst Jacob Grimm und später wieder viele andere annahmen, ist
nicht sicher. Vermutlich liegt die Wahrheit in der Mitte; Stoff- und Motivgeschichte
sind das heikelste Kapitel der Literaturwissenschaft, sie widersetzen sich naivem
Positivismus. Die Wirkungsgeschichte unseres Textes jedenfalls ist gleich Null. Alle
späteren Reineke- Voss-Versionen gehen auf den mittelniederländischen Reinaert und
damit auf den altfranzösischen Renart zurück, auch Goethes Versepos.
Heinrichs Werk ist eine Satire reinsten Wassers. Ganz gezielt nimmt er, dem lehrhaften
Charakter der Fabel folgend, Auswüchse seines religiösen, gesellschaftlichen, politi
schen Umfeldes aufs Korn: Es sind ganz konkrete Ereignisse aus der zweiten Hälfte des
12. Jahrhunderts, die da angezogen werden, wie es im Amtsdeutsch hieße. 1191
übergab Kaiser Heinrich VI. das elsässische Kloster Erstein illegalerweise an den
Bischof von Straßburg, eine Schenkung, die er 1192 wieder rückgängig machen mußte.