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Atom oder früher schon angefangen, durch das Pflanzen-, Tier- und
Menschenreich hindurch, bis zu den höchsten Geistern hinauf. Nun stellen
Sie sich eine Hierarchie, doch eine solche reinster vollkommenster Ordnung
vor und Sie haben das Bild geläuterter, reiner Geistwesen, die jenseits
der Erdenwelt im Nahmen urewiger Gesetze vollbewußt fortschreiten und
den noch im Banne der Unwissenheit Lebenden zum Fortschritt verhelfen.
Es ist Arbeit im höhern Sinne, die hier geleistet wird. Der nächste Schritt
im Erkennen der Dinge ist für uns jetzt leicht getan. Je höher ein Geist
gestiegen ist, desto größer und weitumfassender wird auch sein Arbeitsfeld
sein. Damit kommen wir zu jenen erhabenen Geistern, deren Wirkungskreis
ein Sonnensystem sein mag, Geistern, denen man ruhig Attribute beilegen
darf, die im landläufigen Sinne als göttliche bezeichnet werden. In diesen
„Göttern" sehen Sie das Ziel, nach dem wir alle streben, und deshalb
sagte ich: „Das Universum steht uns offen!" Resigniert führte Justus hinzu:
„Aber den Zweck dieses fast unendlichen Entwicklungsganges, wohin er führen,
ob er enden mag, und warum wir nicht gleich als fertige, vollkommene
Wesen ins Leben traten, weiß ich nichts zu sagen, das liegt tief im Argrund
des Absoluten verborgen. — — Noch aber möchte ich über das Drama
der Götterdämmerung etwas bemerken: Wenn dort alles der Vernichtung
anheimfällt, so handelt es sich doch nur um die entstandene materielle Welt,
und selbst die geht nicht spurlos zu Grunde; wie uns die Wissenschaft lehrt,
ist es nur die Form, die wechselt, denn hier blüht neues Leben aus den
Ruinen. Die Geister aber sind unzerstörbar, für sie war die Götterdämmerung
nur eine Etappe zu weiterem Aufschwung."
Eisenbarth war aufgesprungen, er drückte Justus beide Lände, tief
ergriffen sagte er: „Lerr Doktor, ich danke Ihnen! Sie haben mir ein
Licht angezündet in dunkler Nacht, in der ich tappte, in der Anklarheit
darüber: ist Gott persönlich oder unpersönlich aufzufassen? Gibt es über-
Haupt einen Gott? Ist alles nur ein toter Mechanismus, ein ewiges Wechsel
spiel zwischen Kraft und Stoff? Jetzt erst ist der tiefe Sinn Ihrer frühern
Belehrungen über eine jenseitige Welt meinem Verständnis näher getreten.
Nochmals, ich danke Ihnen!"
Mit freundlichem Ernst erwiderte Justus: „And mich freut es, meine
Gedanken einem Menschen mitzuteilen, der noch nicht der großen Suggestion
unserer platten Zeit zum Opfer gefallen ist, die von einem Mann von
Bildung verlangt, alles Äbersinnliche für alberne Kindermärchen anzusehen.
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen über unsere alte Germanen
religion machen: Oftmals frage ich mich, wie würden wir Deutschen uns
wohl entwickelt haben, wenn nicht römisches Recht und das Christentum
die knorrigen Eichenäste unnatürlich gestreckt und geglättet hätten? Warum
durften wir nicht unsere uralten Rechtsanschauungen, unsere ureigene Götter
lehre ausbauen, vertiefen, zu einem Gewand formen, das unserer Wesens
art völlig paßte? — Schon als Kind hegte ich einen heimlichen Groll
gegen Bonifacius, der die Wotaneiche umhieb, und Fürst Radbod, der
sich der Taufe entzog, weil man ihm gesagt hatte, daß er im Christen
himmel schwerlich seine heidnischen Ahnen vorfinden werde, hatte meinen
stillen Beifall. — Nun ja denn, ich glaube, wir wären in uns gefestigter,
wahrer, größer geworden, hätten wir uns auf eigene Faust weiterentwickelt."