Full text: Tlavatli

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Dieser richtete sich aus seiner hockenden Stellung ein wenig in die Löhe, 
die Wulstlippen machten saugende Bewegungen, bald war die Zunge 
sichbar, bald wurde sie mit lautem Schnalzen eingezogen, wobei sich das 
Maul blutig färbte, Blut floß aus seinen Winkeln, es troff auf den 
Altan, dann begannen Schluckbewegungen und — ein Blick Justus auf 
die Granitschale zeigte ihm, daß diese leerer und leerer wurde, trotzdem 
sie das mindestens drei Meter breite Wasser von dem Götzen trennte. 
Justus erinnerte sich, in einer Spiritistensitzung gesehen zu haben, wie eine 
materialisierte Gestalt ein Glas Wasser zu sich nahm, das das etwa vier 
Schritte davon entfernte Medium sofort wieder von sich gab. Das war 
ja etwas Ähnliches, das wir uns indessen von unserm dreidimensionalen 
Standpunkt aus nicht erklären können. 
Die Priester, sowie die nahestehenden Garos sahen mit großer Be 
friedigung das Blut rasch aus der Schale verschwinden, bis auch der letzte 
Rest aufgezehrt, aufgesogen, vierdimensional vom Saljang aufgenommen 
worden war, der sich die Lippen leckend in seine Nische zurückzog. Der 
Oberpriester hob seine Pände wie segnend über die Gemeinde, in der 
Justus unbekannten Sprache redete er einige Worte in singendem Tone, 
das den Schluß der Zeremonie bedeutete, denn lautlos, wie sie eingetreten, 
entfernten sich die Garos; Justus schloß sich ihnen an, Ekel, Zorn und 
Trauer bewegten ihn, erst als er ungehindert bei seinem Pferde anlangte, 
das er bei dem hellen Mondschein leicht unter der Palme wiederfand, 
atmete er tief auf. Fast wie ein gräßlicher Traum erschien ihm das, was 
er in der Äöhle hatte erleben müssen. 
Llnverweilt und so rasch es die holprigen Gebirgswege gestatteten, 
trat Justus den Rückritt nach Nibari an, nur unterbrochen durch einen 
längeren Aufenthalt an demselben Platze, der schon gestern seiner Ruhe 
gedient hatte. Gegen Mittag freute sich Zes Jürgen, seinen Perm, wenn 
auch angegriffen von dem langen Ritt, doch unversehrt ins Zelt geleiten 
zu dürfen. 
Mehrere Tage mußte Justus verstreichen lassen, ehe er sich genügend 
gesammelt, seine innere Ruhe wiedergefunden hatte, um Sankha den zweiten 
Besuch abstatten zu können. Von seinem Diener begleitet, trat er eines 
Morgens den Ritt zu ihm an. 
Zes Zürgens folgte, wie gewohnt, seinem Doktor, mit dem er in den 
letzten Tagen gar nicht recht zufrieden gewesen war, es zeigte sich dieser 
so ernst und wortkarg, hatte außer einer längeren Unterredung mit seinen 
Elefantenleuten kaum gesprochen. Na, er wußte schon, wie er ihn auf 
heitern wollte, man mußte ihn an etwas Angenehmes erinnern, wozu sich 
bald Gelegenheit bieten würde. 
Die Reiter waren an den von Tamarinden umsäumten Teich gelangt, 
an dessen Llfern sich vor kurzem das hübsche Idyll abgespielt hatte; Justus 
hielt erschüttert sein Pferd an. Wo war die lachende Mädchenschar ge 
blieben? Welch Entsetzen mußte sie gepackt haben, als die grausamen 
Gebirgsgaros ihre lieblichste Gespielin raubten. 
Zes Jürgens, hinter seinem Perm haltend, meinte schmunzelnd: „Nichts 
für ungut, Perr Doktor, aber sie denken jetzt sicher an die nette kleine 
Indianerin und an den Kuß, den sie Ihnen gegeben hat."
	        
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