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Die gebeugte Menge richtete sich auf, fast ehrfürchtig blickten sie den
Fremden an, auf den ein Abglanz des Mahatma fiel, dessen Macht sie
kannten. Wenn auch mehr oder weniger alle wußten, unter wessen Schutz
der Fremde nach Sali gelangt war, so flößte ihnen das plötzliche Erscheinen
des Meisters hier in ihrer geheiligten Löhle doch solche Furcht und Scheu
ein, daß sie nichts Feindliches zu unternehmen versuchten; ein freier Raum
bildete sich um Justus, niemand wagte mehr ihn zu berühren.
Surabi warf ihrem Freunde einen liebeerfüllten, wehmütigen Blick
zu, es lag auch der Ausdruck williger Ergebenheit in ihr Schicksal darin,
sie sah ja, wie niedergeschmettert der Sahib dastand in dem Bewußtsein,
einem Ritualmord untätig zuschauen zu müssen.
Der schlau lächelnde Oberpriester tat, als wäre ein Zwischenfall gar nicht
vorgekommen, ruhig ordnete er den Fortgang der Zeremonie an, indem er
seinen beiden Gehilfen einen kurzen Befehl zurief. Diese traten mit dem
Mädchen an die Granitschale heran, ihren Kopf über diese beugend. Leuch-
lerisch die Augen niederschlagend sprach der Oberpriester mit salbungs
voller Stimme zu seiner Gemeinde: „Wie Ihr wißt, ziemt es sich nicht
für einen Priester, Waffen zu tragen; wer von Euch gibt sein Messer
dazu her, den geliebten Saljang zu befriedigen? Euch allen ist bekannt,
daß das die Waffe stark macht, daß kein Feind ihr widerstehen kann."
Lundert Lände erhoben sich mit den blitzenden Messern. „Ich!"
„Nein ich!" „Nimm meins!" tönte es wirr durcheinander.
Befriedigt von dem Eifer seiner Gemeinde, rief der Oberpriester sich
einen jungen Mann aus der Menge heraus. „Prasuma, ist Dein Stahl
scharf und gut? so reiche ihn mir."
Schweigend, doch mit strahlendem Gesicht, der Auserlesene zu sein,
überreichte der Jüngling seine Waffe, deren Spitze der Oberpriester am
Daumennagel prüfte. Rasch trat er an das wohl schon halb bewußtlose
Mädchen heran, mit einem kräftigen Schnitt öffnete er die Schlagader am
Lalse, aus der das rote Blut hoch im Bogen in die Schale sprang. Ein
Zittern ging über Surabis schlanken Leib, die Knie knickten ihr ein, so
daß sie von den beiden Gehilfen hochgehalten werden mußte. Noch ein
Zucken — und bleich fiel ihr Laupt zur Seite, sie war tot. Das Sterben
mußte ihr leichter geworden sein als die ihm vorangegangenen körperlichen
und seelischen Qualen, die rohe Gewalt sie hatte erleiden lassen.
Prasuma empfing das blutige Messer zurück, das er stolz seinen Gefährten
zeigte. Surabis Leichnam wurde in den Strom geworfen, der ihn rasch entführte.
Brennenden Auges und schmerzbewegten Lerzens hatte Justus alles
mit angesehen, er gebrauchte seine ganze Manneskraft, um sich wieder und
wieder zu sagen, daß hier mehr Mut und Selbstüberwindung dazu gehöre,
untätig alles geschehen zu lassen, als dazwischen zu schlagen und dann
sicher ein zweckloses Opfer zu werden, nicht mehr im Stande zu sein,
diesen gräßlichen Bluttaten ein Ende zu machen.
Wieder erklang das Gong, die Garos beugten ihre Nacken, sie be
gannen aufs Neue den eintönigen Gesang, die drei Priester verneigten sich vor
dem Saljang, der lang die Zunge heraushängen ließ, ein ekelerregendes Bild.
Lind nun begab sich etwas Eigentümliches, Unheimliches, das Justus
die gewaltigen magischen Kräfte ahnen ließ, die einst den Saljang schufen.