Full text: Tlavatli

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Kali eine seiner berühmten Vorstellungen gäbe. Lier hatten die Engländer 
sich in eine Nische der Tempelmaucr eine kleine Tribüne errichten lassen, 
wo die drei Lerren bequem Platz fanden, unbehelligt von dem bunten 
Gedränge der Zuschauer. Eilt an dünnen Stäben befestigter Strick umzirkte 
einen Platz von ungefähr vier Meter Durchmesser. Bald erschien der Pogi, 
der einen zusammengerollten kleinen Teppich trug, den er in der Mitte 
des Platzes ausbreitete. Bekleidet war der Bogi nur mit Lendentuch und 
Turban. Er ließ seine durchdringenden Blicke im Kreise Herumschweifen 
und wohl eine halbe Minute lang auf den drei Europäern ruhen, dann 
begann die Vorstellung, von der die beiden Maler rasche Skizzen ent 
warfen, der deutsche Photograph aber Aufnahmen machen sollte. Mit 
Blitzesschnelle warf der mitten auf dem Teppich stehende Inder einen langen 
Strick — man wußte nicht, woher er den so plötzlich halte — senkrecht 
in die Luft empor, wo er frei hängen blieb. Darauf griff er sich einen 
kleinen splitternackten Knaben aus der Menge, den er an dem Strick empor 
klettern ließ. Als der Junge eine gewisse Löhe erreicht hatte, verschwand 
er. Der I>ogi rief ihm zu, er solle wieder herunter kommen, was jedoch 
nicht geschah. Jener nahm darauf ein blitzendes Messer — von dem inan 
vorher auch nichts gesehen hatte — zwischen die Zähne und kletterte dem 
Zungen nach, bis auch er verschwunden war. Man hörte von oben allerlei 
Stimmen, erst das Schelten des Mannes, dann ein gräßliches Wehgeschrei 
des Jungen, das in ein hinsterbendes Winseln überging. Plötzlich fiel ein 
blutiges Beirr, ein Arm, nochmals Bein rind Arm, dann der Kopf mit 
schrcckverzerrtem Gesicht, zuletzt der blutüberströmte Rumpf des Jungen 
herunter in den Kreis der atemlos dastehenden Zuschauer hinein. Nun 
glitt auch der Pogi herab, rollte den Strick auf und legte ihn neben sich, 
das blutige Messer darauf. Jetzt ordnete er die Teile des zerstückelten 
Leichnams, deckte den Teppich darüber unb trampelte einige Augenblicke 
darauf herum. Der Laufen Llnglück wurde immer flacher, als wäre das 
Kind zu Brei zerstampft worden; endlich hob er den Teppich auf, der 
Platz unter ihm war leer — und lustig lachend drängte sich der braune 
Knabe durch die Zuschauer, faßte die Land des Zauberers und rief: „So, 
jetzt bin ich wieder heil!" Befriedigt ging das Publikum auseinander, 
nachdem einige dem Pvgi ihren Obulus entrichtet hatten. Schreckensbleich 
saßen die drei Europäer auf der Tribüne, unbegreiflich war ihnen die 
Seelenruhe, mit der die Inder dem grausigen Schauspiel beigewohnt hatten. 
Der I>ogi trat an sie heran, bedankte sich für die Ehre, die die Sahibs 
ihm erzeigt hätten und ward mit einer Land voll Rupien entlohnt. Sechs 
Zeichnungen hatten die Maler angefertigt, vier der Eine, der Andre nur 
zwei, denn cs zitterte ihm vor Aufregung und Entsetzen die Land. Der 
Photograph hatte zwölf Momentaufnahmen gemacht. Die Bilderchen der 
Maler waren recht gut, sie hatten die Lauptmomente der Darstellung 
glücklich fixiert; jetzt waren die Lerren gespannt auf das photographische 
Resultat, bei dem alle die feinen Details, die der Zeichner in der Ge 
schwindigkeit nicht festhalten kann, zum Ausdruck gelangt sein mußten. — 
Nun aber kam das Interessanteste der ganzen Geschichte, denn als Justus' 
Lamburger Gewährsmann abends im Lotel seine Films entwickelte, sah 
er zu seinem höchsten Erstaunen auf allen Bildern nur den Vogi und den
	        
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