Full text: Tlavatli

Wie alle Sinneslust von Justus gewichen, so auch Zorn und Eifer 
sucht, nur reine, wunschlose, aus der Tiefe seines Wesens quellende Liebe, 
inniges Mitleid waren geblieben. Aber auch eine stille, nicht in Worte 
zu fassende Freude, sie noch einmal zu sehen, so manches Anausgeglichene 
zu klären und die völlige Ruhe wiederzufinden in dem Bewußtsein gegen 
seitigen Verstehens und Verzeihens. Er drückte leise ihre Lände und sagte: 
„Gewiß, Tlavatli, ich verzeihe Dir gerne! Trifft doch auch mich ein gut Teil 
Schuld. Als erfahrener Mann hätte ich Dich leiten und führen sollen, statt 
über mich die wilden Wogen der Leidenschaft zusammenschlagen zu lassen." 
Sie lächelte dankbar. „Sieh, Iostuhs, jetzt ist mir ja erst mein eigenstes 
Ich klargeworden, jetzt erst verstehe ich mich selber und weiß, wie folgerichtig 
eins aus dem andern entsprungen ist. Geliebt hatte ich, bis ich Dich fand, 
nie, aber bei den wilden Freuden des Phallosdienstes packle mich manchmal 
die tolle Lust mitzutun, doch niemals sah ich einen Mann, dem ich mich 
hätte hingeben können, immer endete meine Begierde in dem Gefühl un 
säglichen Ekels. — Äber das, was man Liebe, Wohllust nennt, hatte ich 
inzwischen viel nachgedacht, in heißer Gier wallte mein Blut oft auf im 
Kampfe mit der Reinheit, Keuschheit, die einer Königstochter ziemen, und 
wie ein süßer, lähmender Traum kam es dann über mich, wie ich als Göttin 
unter den mich Anbetenden frei würde wählen können. O Iostuhs, heute 
schäme ich mich meiner Torheit, des Wahnsinns, eine Göttin sein zu wollen, 
ich armes, schwaches Wesen! Dich, Iostuhs, habe ich wirklich lieb gehabt, 
den andern zog ich an mich heran, weil ich sah, wie er im Geiste anbetend 
vor mir kniete. Tollheit und kindischer unbedachter Äbermut waren es, die 
mich antrieben, ihn in Wirklichkeit zu meinen Füßen zu sehen. Die Reue 
kam mir in derselben Nacht. And dann all das Schreckliche! Ich wies 
ihn von mir und doch war er der einzige, mit dem ich, nachdem du fort 
warst, reden konnte, reden mußte, um nicht ganz verloren und allein zu sein. 
Da erschlug ihn Atzlan!" 
Tief ergriffen fiel Justus ein: „Du liebes Kind, wieviel Schlimmes 
hast Du auf meinem Schiffe erdulden müssen!" 
„Es wurde noch viel schlimmer, Iostuhs! Der böse Mann, der Nielsen, 
sperrte mich ein, ließ niemand mehr zu mir, er wollte mich allein haben, 
wollte von mir geliebt sein. Da nahm ich meine magische Kraft zur Lilfe, 
und sieh, es gelang, ihn mir fernzuhalten, er bekam Furcht vor mir. Ich 
erzwang es, wieder frei auf dem Schiff umhergehen zu können, blieb aber 
meist nur auf dem Oberdeck. Nachdem man den Kapitän, seine gute Frau 
und die zwei Leute ausgesetzt hatte, kehrte das Schiff zu meinem Tempel 
zurück, wie ich an dem Rohr erkannte. Lier ging es wüst her. Wir lagen 
zwei Tage neben den Tempeleingang. Es war ein fortgesetztes Ein- und 
Aussteigen mit Beilen, scharfen Instrumenten und erbeutetem Gold. Was 
sie nur losschlagen konnten, brachten sie aufs Schiff und zankten und schrien 
unausgesetzt dabei um seinen Besitz. Jeder wollte das, was er heraufholte, 
für sich behalten, der böse Mann ließ es aber auf einen Laufen werfen, 
es sollte wohl nachher geteilt werden." 
Justus unterbrach sie: „And was geschah inzwischen mit Atzlan?" 
„Der befand sich in seinem Gefängnis, ich hörte ihn oft wilde Schreie 
ausstoßen, denn ihn mochte hungern; die Leute waren wie von Raserei
	        
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