Full text: Tlavatli

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Lerr Doktor. Sehen Sie mal, ich bin so'n alter Praktikus im Ruten 
laufen, habe schon manche nette Quelle aufgefunden, und hier im Garten 
bin ich viele Male mit der Rute gegangen, bei trockener und bei nasser 
Witterung, im Sommer und im Winter und immer wieder hat's mich an 
dieselbe Stelle geführt, dort ist es, wo ich den Pflock eingeschlagen habe." 
Er wies auf die Waldkante hin, wo vor einem Laselnußgesträuch, von 
hohen Buchen überragt, der Pflock im Schnee stand. 
Justus kam der gute Gedanke, sofort einmal zu versuchen, die Probe 
auf's Exempel zu machen, er ging mit den andern dem Lause zu und 
fragte den heraustretenden Ies Jürgen: „Ist Ihnen die Rutengängerei 
bekannt? Sie soll in Schleswig-Lolstein ja häufig in Anwendung kommen." 
„Na, die soll ich wohl kennen," gab dieser zur Antwort, „als Junge 
schon habe ich Wasser und versteckte Metalle mit der Nute aufgefunden." 
„Gut, dann wollen hier gleich den Versuch machen, eine Nute können 
wir ja in jedem Busch schneiden." 
„Ist gar nicht nötig," sagte der alte Linsch, „ich habe mein Instru 
ment bei mir." Damit zog er aus dem Stiefelschaft einen zusammen 
gelegten Draht hervor. 
„Gewiß, ein Draht tut's auch," sagte Ies Jürgen, „die Kraft sitzt 
im Menschen." 
In der den Rutengängern eigenen Weise faßte er mit beiden Länden 
die Enden des gebogenen Drahtes an, blickte starr vor sich hin und setzte 
sich in Bewegung. Erst beschrieb er mehrere imme? größer werdende 
Spiralen, dann ging er, immer rascher schreitend, auf den Pflock zu. 
„Lier ist Wasser!" rief er, „hier kreuzen sich mehrere Adern. Donner 
wetter, ist das stark!" Das eingebogene Ende des Drahtes stand senkrecht 
neben dem Pfahl auf den Boden gerichtet. „Lolla! Da hat schon einer 
vor mir die Quelle gefunden, sonst wüßte ich wahrhaftig nicht, warum 
hier der Lolzpflock steht." 
„Das war ich!" rief Linsch, ganz stolz auf seine Wissenschaft. 
Die Pennaus standen der Sache hilflos unwissend gegenüber, endlich 
meinte der Kapitän: „Ja, wenn man denn wirklich mit einem Stück Draht 
Wasier unter der Erde finden kann, so ist das gewissermaßen die reine 
Lexerei." 
Justus lachte: „Sie haben gewissermaßen nicht ganz unrecht, denn in 
der guten alten Zeit sind die Leute dieser Kunst wegen oft genug einge 
kerkert oder gar verbrannt worden. Die Rhabdomantie war übrigens 
schon den Griechen und den alten asiatischen Kulturvölkern bekannt, ging 
jedoch wie so vieles Okkulte verloren, zuerst war es die Kirche, die sie für 
Teufelswerk erklärte, dann wieder paßte sie der aufstrebenden braven Na 
turwissenschaft nicht in ihren Kram. Im Volke hat sich die Wünschel 
rute indessen erhalten und ist neuerdings, sogar behördlich anerkannt, wie 
der zu Ehren gelangt." 
Linzufügen läßt sich hier gleich, daß an jener Stelle ein artesischer 
Brunnen gebohrt ward, der bei 180 Meter Tiefe ein köstliches Trink 
wasser in so reicher Fülle lieferte, daß ein künstlicher Bach und ein Teich 
mitten im Park angelegt werden konnte, der für die Heranwachsenden Kin 
der als Freibad in Aussicht genommen wurde.
	        
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