Full text: Tlavatli

Ernst entgegnete Justus: „Recht hast Du wohl, Prinzessin! Doch, 
wenn mir auch das übersinnliche Gebiet genügend bekannt ist, um eigentlich 
durch nichts überrascht zu werden, weiß ich mich nicht so schnell hinein 
zufinden, dieses mit Dir, die Du mir als Weib, als sinnbetörendes Weib 
entgegentrittst, zu verbinden. Mein Studium des Okkultismus war bislang 
reine Verstandessache, Wissenschaft, der Zauberbann aber, den Du um mich 
schlingst, ist Sache des Gemüts, des Lerzens. Du, Lolde, weckst süße 
Empfindungen in mir, die mich immer wieder vergessen lassen, eine Atlan- 
tierin, die Repräsentantin einer fernen, fremden Rasse vor mir zu sehen. 
Du wirst »kaum begreifen, wie schwer es meiner Rasseneigenheit, meinem 
so ganz anders geschulten Denken fällt, den Begriff „zartes, hilfsbedürftiges 
Weib" mit der Ausübung ihrer magischen Kraft zu vereinen." 
Sie berührte leicht seine Schulter. „Doch, ich verstehe Dich bis auf 
das Wort „hilfsbedürftiges Weib", o glaube mir, ich helfe mir schon selbst, 
wirst es noch erfahren. Lasse mich jetzt weiter berichten. Mit Spannung 
sah ich meiner Einweihung als Priesterin der Staats- und Lofreligion 
entgegen, hoffte ich dadurch doch endlich Befriedigung meines Sehnens zu 
finden, denn irgendwo mußte das Göttliche, Erhabene zu packen sein. — 
O mein Freund, wie grausam sollte ich enttäuscht werden! — Mein lieber 
Vater machte mir, wie es schien, kummervollen Lerzens, die Mitteilung, 
daß ich am nächsten Tag, so hätte es der Oberpriester bestimmt, in die 
Mysterien des Tempeldienstes eingeführt werden sollte. Der Oberpriester 
war Atzlan, und jetzt fiel mir wieder der plötzliche Tod meiner älteren 
Schwester schwer auf das Gemüt. Erst ängstlich, dann aber zornig und 
kampfbereit ließ ich mich in den Tempel führen. Hier wurde ich von un 
gefähr zwanzig jungen Mädchen in golddurchwirkten Kleidern empfangen, 
sie begrüßten mich mit der Ehrfurcht, die sie meinem Range schuldig waren, 
beglückwünschten mich aber alle zu den Wonnen, die mir der Tempeldienst 
bieten und die ich anderen bereiten werde. Die Priesterinnen waren mir 
nicht fremd, es waren die Töchter hoher Staatsbeamten und angesehener 
Familien Rmoahalas. Galt es doch im Lande als höchste Ehre, in diese 
Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Die Mädchen geleiteten mich in 
einen prachtvoll ausgestalteten Raum, hier sollte ich ein laues Bad nehmen, 
das mir in einer Wanne aus weißem Stein bereitet war. Betäubende 
Wohlgerüche schlugen mir aus dem Wasser entgegen, nicht so zart wie 
der lieblich duftende weiße Schaum, den Du mir hier auf Deinem Schiffe 
gabst. — Mir ahnte Böses, ich sollte eingelullt, meiner klaren Sinne be 
raubt werden. Vergebliches Mühen, ich war stark und ging höchstens er 
frischter aus dem Bade hervor. Nachdem auch mir ein golddurchwirktes 
Gewand angelegt worden war, deuteten die Mädchen lächelnd auf eine 
Tür, durch die ich in ein anderes noch prachtvolleres, lichtes, hohes Gemach 
gelangte. Licr saß ein junger Priester, dem ich schon oft in unserem Lause 
begegnet war. Mit einem Übeln, lüsternen Gesichtsausdruck musterte er mich, 
worauf er mich Platz zu nehmen bat. Dann hielt er mir einen längeren 
Vortrag, der mich in die Kultusgeheimnisse einführen sollte. Er sprach, 
kurz gefaßt, etwa folgendes: „Du giltst hier in diesem Tempel nicht als 
Königstochter, du wirst Priesterin sein, gleich den andern Mädchen, die 
das Glück haben, hier zu weilen. Dem Oberpriester bist du zu unbedingtem 
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