Erregt unterbrach sie Justus: „Tlavatli, ich weiß es, ich sah mit Ent
setzen in Indien ein Zauberwesen, das er geschaffen und das heute noch
von armen unwissenden halbwilden seinen Blutzoll fordert. Du Reine,
holde bist doch nicht mit dieser gräßlichen Dämonenreligion in Berührung
gekommen?"
„Doch, mein Freund! Ein Mensch, vor allem ein Königskind, darf
vor nichts Menschlichem zurückschrecken, er braucht es darum noch nicht
gutzuheißen. Lind daß Atzlans Zauberwesen keine Götter, sondern nur
grauenhaftes Menschenwerk sind, lernte ich bald kennen." Sie lachte ihr
tiefes, sinnberauschendes Lachen, „hahaha! Onkel Atzlan, der schöne Mann,
noch nicht zu alt, immerhin aber fünfundzwanzig Jahre älter als ich, wollte
mich zur Frau. Lieb hatte er mich wohl in seiner brutalen Art, gewiß!
Bor allen Dingen jedoch wollte er Beherrscher der Atlantis, wollte König
werden, das er als mein Gatte geworden wäre, wenn man mich zur Thron
folgerin bestimmte; das war nicht ausgeschlossen, da ich keine Brüder hatte.
— Nun denn, Atzlan versuchte es, mich zu umgarnen, wie er es früher
bei meiner älteren Schwester versucht hatte, die indessen, bald nachdem sic
die Weihe als Priesterin der Staatsreligion empfangen hatte, eines plötz
lichen Todes starb; sie wurde uns, kaum daß sie den Tempeldienst ange
treten hatte, tot ins Haus gebracht. Das kam bei diesen Priesterinnen
nicht selten vor- weswegen ich beschloß, wenn's mit mir soweit wäre, gut
auf der Hut zu sein. Doch weiter! Atzlan verhöhnte mich mit meinem
Sonnendienst, er versprach mir, mich einen Gott kennen lernen zu lassen,
an dem ich inehr Vergnügen haben sollte. Da ließ er eines Tages in
meinem Zimmer einen Schrank, reich gearbeitet aus köstlicher Bronze, auf
stellen; er gab mir den Schlüssel dazu und sprach: „Da drinnen wirst du
einen jungen Gott finden, den mußt du täglich mit einem Tröpflein deines
Blutes nähren, dann wird er bald heranwachsen und dir viele Freude
machen." — Zch fand ein allerliebstes Knäblein auf weiche Kissen gebettet
im Schrank; es hatte die Größe eines zweijährigen Kindes, lächelte mich
freundlich an und schmatzte mit den Lippen, wollte offenbar zu essen haben.
Ein Tröpflein Blut jeden Tag ist gewiß nicht viel, dachte ich, und ein
Nadelstich tut nicht weh, doch als ichs versuchte, mich zu stechen, brachte
ich es nicht fertig. Zch rief eine Dienerin herbei, erklärte ihr, worauf es
ankam, und fand sie sofort bereit, das kleine Opfer zu bringen. Nun be
gab sich aber etwas Unerwartetes. Das Göttlein kümmerte sich recht wenig
um mich, hing aber mit großer Zuneigung an seiner Amme und noch ganz
unendlich mehr diese an ihm. Immer wieder fand ich sie am Schrank,
sich mit dem heranwachsenden Gott des Atzlan beschäftigend, ihn pflegend
und liebkosend. Er hatte in drei Monden gewaltig an Größe zugenommen,
hatte bereits das Aussehen eines fünfjährigen Kindes. Es mochte wohl
sein, daß meine Dienerin ihn mit reichlicherer Nahrung, als bestimmt
worden, versah, denn sie wurde täglich bleicher. Ich war recht gespannt
darauf, was sich aus diesem werdenden Idol wohl noch entwickeln würde;
die Sache erschien mir recht lächerlich, Ehrfurcht oder gar Liebe hatte ich
für das Göttlein nicht. — In dieser Zeit war es, als mein Vater, der
König anfing, mir Unterweisungen in der Magie zu geben, wie es Brauch
in den hohen Familien unseres Landes war. Ehe er jedoch damit begann,
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