Full text: Tlavatli

Da bettete er sie aufs Sofa, setzte sich ans Klavier und begann leise 
zu spielen. Erst lauschte sie gespannt den neuen, unbekannten Tönen, bis 
diese allmählich mit dem gleichförmigen Geräusch des Regens verschmolzen, 
sie einlullten in tiefen Schlaf. 
Wohl zwei Stunden hatte Justus gespielt, die Dämmerung brach 
herein, Eisenbarth war erschienen und wieder gegangen, dann Ies Jürgen. 
Leise, immer leiser ließ er die letzten Melodien verklingen, dann näherte 
er sich der holden Schläferin, er beugte sich über sie und küßte die weichen, 
duftigen Laarwellen; da erwachte sie. 
„Dieser Schlaf hat mich erquickt, jetzt fühle ich mich frei und leicht 
wie früher!" rief sie fröhlich. „And welch wunderbare Musik hast du er 
tönen lassen, doch Spielleute sah ich nicht." 
„Sieh hier Tlavatli, dieser Schrank birgt sie." Er ließ die Lände 
über die Klaviatur gleiten. „Versuche es selber." 
Leise schlug sie die Tasten an, sie freute sich wie ein Kind, als die 
Töne erklangen. Justus drehte das elektrische Licht an, zeigte und erklärte 
ihr den Mechanismus des Klaviers, er bewunderte ihre rasche Auffassungs 
gabe, staunte über das Interesse, das sie dem Neuen, Niegesehenen ent 
gegenbrachte. 
Als Ies Jürgen jetzt eintrat und äußerte, daß heute wohl im Salon 
Abendbrot gegessen werden müßte, da das Oberdeck, wenn auch der Regen 
aufgehört hätte, noch naß und unfreundlich sei, fragte Justus die Atlantierin, 
ob sie ihm nicht die Freude machen wollte, mit ihm zu speisen. Sie sagte 
zu mit dem Bemerken, hier wohl wieder mancherlei Gepflogenheiten kennen 
zu lernen, die mit denen der Atlantis stark kontrastierten. 
Es war ein stilles Mahl, Tlavatli aß wenig, es war, als sänne sie 
über etwas nach. Justus bemühte sich, ihr allerlei Gutes vorzulegen und 
sie an den ihr unbekannten Gebrauch der Gabel zu gewöhnen. Eisenbarth 
war völlig schweigsam, er blickte mit einer gewißen Scheu auf sein schönes 
Gegenüber, die Atlantierin kam ihm wie ein außermenschliches Wesen, wie 
eine Andine, eine Nixe vor, er begriff seinen verehrten Lerrn Doktor nicht, 
wie der ohne Furcht und Grauen mit ihr verkehrte, ja mehr noch, in heißer 
Liebe zu ihr entbrannt war; das bezeugte jeder seiner Blicke, jedes Wort, 
das er zu ihr sprach. Wohin sollte das führen? 
Justus gab dem aufwartenden Ies Jürgen einen Wink, worauf dieser 
eine Flasche Sekt herbeibrachte und geschickt entkorkte. 
„Liebe Tlavatli," sagte Justus scherzend, „Frau Pennau, Deine 
Pflegerin, erzählte mir, daß Du den Schaum liebst, diesen hier magst Du 
kosten, er ist wohlschmeckend und, mit Maß genossen, bekömmlich." Lang 
sam füllte er die Gläser und erklärte, wie es heute Brauch sei, diese, bevor 
man sie an die Lippen sehe, aneinanderklingen zu lassen. 
Diese Sitte schien der Tischgenossin Spaß zu machen, denn lachend 
stieß sie mit den Lerren an und trank, trotz des sie erst erschreckenden 
Prickelns, ihr Glas leer. „Ist das Wein?" fragte sie, „den kannte ich 
bisher nicht. Das, was bei uns aus Trauben hergestellt wird oder wurde, 
war so stark, daß es nur mit Wasser gemischt getrunken werden konnte." 
„Gewiß, es ist Wein," antwortete Justus, „darf ich Dir noch einmal 
Dein Glas füllen?" 
123
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.