Literarisches Centralblatt
für Deutschland.
Verantwortlicher Herausgeber Prof. Nr. Fr. Zarncke.
Verlegt von Eduard Avenarius in Leipzig.
183«.
27. December.
Diese Zeitschrift erscheint jeden Sonnabend. Der Preis für ein Vierteljahr ist 1 Thlr. 10 Sgr.
Theologie.
Zeitschrift für die gesammte lutherische Theologie und Kirche
berausg. von Dr. A. G. Rudelbach u. Dr. H.E.F.Guericke.
1857. 1. Quartal-Heft.
Inh.: A. G. R u d e I b a c h, die Grundlvig’sche Theorie u. die evang.-lulher.
Kirche. — C. Fr. Keil, die Opfer des Alten Bundes. II. — A. G.
Schick, ist das „Evxrj Xöyov tov nctp' uwov“ in Justins Abendmahls
liturgie das Gebet des Herrn oder nicht? — II. 0. Köhler, zur Be
urtheilung Zwingli’s. — L. de Mare es, hymnologische Mittheilung.—
Allgem. kritische Bibliographie der neuesten theolog. Literatur.
Evangelische Kirchen-Zeitung. Herausg. von Dr. E. W. Heng
sten b erg. 59. Bd. 5. Hest. November 1856. Nr. 88—96.
Inh.: Inwiefern tragen wir Geistliche selbst die Schuld, daß unsere Predigten
im Ganzen so wenig wirken? — Der geiftl. Volksgesang. — Die kirchl.
Gemeindeordnung. — Ueber Fürsorge für entlassene Sträflinge, insbes.
über Organisation einer kirchl. Fürsorge für dieselben; von F. v. Wick.
Rostock, 1856. — Die Synvdal-Frage. — Die Spendeformel beim heili
gen Abendmahl. — Die Revision der Gottesdienstordnung. — Aus dem
Lippischen. — Einige Erfahrungen aus dem Gebiete der Presbyterialver-
fassung. — Ueber die Berechtigung der Stimmenmehrheit in kirchlichen
Konferenzen und Synoden. — AuS einem Schreiben an den Herausgeber
aus dem Ravensbergischen Pommern.
Deutsche Zeitschrift für christliche Wissenschaft und christliches
Leben. Herausg. von Lic. 5t. F.Lh. Schnetder. 1856. Nr. 49.
Inh.: E. Elster, hebräische und griechische Cultur. (Schl.) — Dr. Peter-
ntiinn, über die Mandäer. (Schluß.) — Lic. F. W. Hasseneamp, die
Anfänge der evangel. Kirchenzucht, mit bes. Rücksicht auf Bueer's Ber-
dienfte um dieselbe. 4. Art. : Bueer's System der Kirchenzucht. A. Ein
leitung : Bueer's Lehre von Kirche u. Amt.
Somisch, Car. Aenotb., Dr. theoL, Prof. Vratislav., Tatiani dia-
tessarOÜ. Antiquissimum N. T. evangeliorem iu unum digestorum
specimen. Breslau, 1856. Max u. Co. (1 BL, 45 S. gr. 8.) geh.
8 Sgr.
Hr. Semisch versucht in dem vorliegenden Schriftchen zu
erweisen, daß das sogenannteDiatessaronTatian's eineHarmonie
unserer 4 canonischen Evangelien, und nur dieser, gewesen sei.
Da er indeß keine neuen Zeugnisse beizubringen vermocht hat, so
ist alle Mühe vergeblich, die auf einen Beweis verwendet wird,
der sich nun einmal auf Grund der bis jetzt bekannten Angaben
nicht führen laßt. Allerdings ist auf das Zeugniß des Epiphanius,
der das Diatessaron mit dem Hebräerevangelium identificiert, gar
nichts zu geben, und da Tatian's Kenntniß namentlich auch des
vierten Evangeliums anderweit feststeht, so haben wir an sich gar
keinen Grund zu bezweifeln, daß, wie Bar-Salibi berichtet, das
Buch mit den Worten: ,,Im Anfange war das Wort" begon
nen habe. Da jedoch das den späteren Schriftstellern überhaupt
nicht mehr aus eigener Anschauung bekannte Werk selbst von ge
lehrten Syrern, wie Barhebraus und Ebed-Jesu, mit der ähnli
chen Arbeit des Ammonius verwechselt worden ist, so ist auch bei
Bar-Salibi wenigstens die Möglichkeit einer gleichen Verwechse
lung nicht ausgeschlossen, und auch Hr. Semisch hat durch seine
allgemeinen Reflexionen über Bar-Salibi's Glaubwürdigkeit nicht
zur Gewißheit zu erheben vermocht, was im besten Falle doch nur
wahrscheinlich ist. Noch weniger hat der Vers, erwiesen, daß
Tatian alle 4 canonischen Evangelien, und nur diese allein, in
seiner evangelischen Darstellung verarbeitet habe. Natürlich
kommt es uns nicht in den Sinn, die Möglichkeit einer Be
nutzung auch der synoptischen Evangelien durch Tatian in Abrede
zu stellen, da schon Justin dieselben ohne Zweifel kannte.
Aber schon die Vierzahl der von Tatian verarbeiteten Evangelien
steht nicht unerschütterlich fest; Hr. Semisch muß es ja selbst un
entschieden lassen (S. 15), ob Tatian selbst seinem Buche den
Namen Diatessaron beilegt; Eusebius und Theodoret fanden die
sen Namen freilich schon vor, aber dies erweist mit Sicherheit nur
überwiegende Verwandtschaft des Tatian'schen Werkes mit un
seren canonischen 4 Evangelien, auch nicht entfernt folgt daraus
die Unmöglichkeit der Benutzung eines uncanonischen Evan
geliums durch Tatian. S. 18 lesen wir nun zwar, Theodoret
bezeuge nach sorgfältiger Prüfung, daß das Diatessaron aus un
seren canonischen Evangelien zusammengestellt sei. Aber wenn
Hr. Semisch hierfür nicht noch andere Belegstellen in Bereit
schaft hat, als die bekannte Stelle haer. fab. 1, 20, so muß seine
Behauptung als eine völlig aus der Luft gegriffene bezeichnet wer
den, denn an jener Stelle steht davon keine Silbe. Alles, was
wir aus Theodorit erfahren, ist dieses, daß das Werk als Auszug
der evangelischen Geschichte auch in katholischen Kreisen verbreitet
war und außer der Weglassung der Genealogie und aller auf die
Davidische Abkunft Jesu bezüglichen Stellen nichts häretisches zu
enthalten schien. So lange man aber die Begriffe häretisch und
uncanonisch, wie sich's gebührt, auseinanderhält, folgt hieraus
keineswegs die Unmöglichkeit, daß Tatian auch Bestandtheile ei
nes uncanonischen Evangeliums seiner Darstellung einverleibt
habe. Daß ferner zur 3eit Tatian's unsere vier Evangelien schon
ausschließlich canonische Autorität erlangt, der Vers, einer Evan
gelienharmonie gerade sie allein zu seiner Darstellung habe ver
weben müssen, ist wieder nichts als eine unsichere Behauptung,
die auch durch die allbekannte Beweisführung des Jrenäus für
die Nothwendigkeit des tvayythov TSTQäfjLoycpov um nichts gewis
ser wird. Freilich, wenn es so unzweifelhaft wäre, als es Hrn.
Semisch erscheint, daß schon Justin ausschließlich unsere canoni
schen Evangelien im Gebrauche gehabt, so könnte man mit eini
ger Zuversicht auch von Tatian das Nämliche annehmen; aber
jene Voraussetzung selbst steht bekanntlich auf sehr schwankenden
Füßen. — Am Wenigsten von Allen aber ist Hrn. Semisch der
Versuch gelungen, seinen Tatian von jedem Verdachte einer
Aenderung der evangelischen Geschichte aus dogmatischem Partei
interesse zu reinigen. Das entsprechende Zeugniß des Eusebius,
daß Tatian die Paulinischen Briefe nach eigenem Gutdünken ge
ändert habe, wird willkürlich verworfen, denn solche Aenderungen
hätten ihm ja wenig Gewinn gebracht (S. 26 f.); die Weglas
sung der Genealogie wird daraus erklärt, daß Tatian nur dem
Nutzen der Frömmigkeit oder der Sehnsucht nach einer vollständi
gen u. zusammenhängenden Lebensbeschreibung des Herrn habe ge
nügen wollen, für diesen Zweck aber sei die Genealogie werthlos
gewesen. Aber mit der Weglassung der Genealogie hängt ja die
Beseitigung aller auf die Davidische Abkunft Jesu bezüglichen
Stellen auf's Engste zusammen, und nothwendig drängt sich die
Frage auf, warum denn Tatian auch diese gestrichen habe. Diese
Frage weist nun Hr. Semisch als eine Frage des Vorwitzes ohne
Weiteres zurück. „Quo vero impulsu“, so lesen wir S. 27,
,,ea quae Davidicarn Christi originem spectant exstinxerit, ho-
mines emunctioris naris videant, si ad fortunae Iudibrium con-
fugere ut par est dedignaberis“. Das heißt doch die Unkritik
geradezu zum Systeme erheben, und wer es anders nicht vorzieht,
mit sehenden Augen nicht zu sehen, wird dem alten Kirchenvater
Theodoret auch künftig in dessen Behauptung Recht geben müs
sen, daß die eigenthümlichen dogmatischen Anschauungen Tatian's
bei jenen Aenderungen mit im Spiele gewesen.— Bessere kritische
Grundsätze hat Hr. Semisch in dem letzten Capitel seiner Schrift
entwickelt, wo er den nach unserem Dafürhalten gelungenen Nach-