Full text: Kinder- und Hausmärchen (3)

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lung beweist das Hobe Alter der Thiermärchen in Indien, und Ba- 
brius der aus mündlicher Sage schöpfte, überliefert die griechische, 
die wir sonst nur aus den trockenen Auszügen bei Äsop und in der 
wenig belebten Darstellung bei Phadrus und A^ianus kannten, noch 
in warmer Auffassung. Vielleicht haben die Skandinavier bei ihrer 
Einwanderung schon die Thiersage mitgebracht, sollte sie auch nicht 
ganz erloschen sein, so haben wir doch keine Kenntnis davon, nur 
das Märchen von dem Bär und Fuchs (Asbjörnsen Juleträet S. 54) 
ist anzuführen. Bei andern Völkern sind Gründe vorhanden, die 
uns berechtigen auf ein früheres Dasein zurückzuschließen, oder es zei 
gen sich einzelne Spuren, gleichsam die letzten Blätter eines abster 
benden Baums. Wenn in dem altindischen und tibetischen Epos, bei 
den Nordamerikanern, Finnen, Gälen, Persern , Slaven und Ro 
manen häufig genug Thiere in die Schicksale derMen'chen verflochten 
werden, oder gute und böse Götter in Thiergestalt ihre Macht aus 
üben (als eins der schönsten Beispiele habe ich oben aus Mahabharata 
das Märchen von der Taube und dem Habicht angeführt), so wird 
doch nicht das abgesonderte, von den Menschen unabhängige Leben 
der Thiere dargestellt: darin aber liegt der Grundgedanke, der als das 
ursprüngliche auch bei den Betschuanen und den Negern zu Bornu 
zum Vorschein kommt. In dem Märchen eines Kosacken finde ich 
ihn so wenig als in den Thierfabeln des Mahabharata (Holzmann 1, 
81. 2, 168), die nur eine sittliche Betrachtung geltend machen wollen. 
In diesen Dichtungen wird den Thieren der geordnete Zustand 
eines staatlichen Lebens beigelegt. Ein König herrscht über sie und 
fordert unbedingten Gehorsam: es gilt ein herkömmliches Gesetz, 
dem sich alle unterwerfen. Sie haben Anführer, vereinigen sich in 
Schaaren die gegen einander ausziehen und sich bekriegen. Uber 
Treue und Redlichkeit erhebt sich Bosheit und List, bei deren Vertre 
tung der Fuchs seine ausgezeichnete Begabung an den Tag legt. Rohe 
Gewalt hilft nicht immer, der kleine Zaunkönig weiß über den mäch 
tigen Adler wie über den unbeholfenen Bären den Sieg zu erlangen. 
Durch die Sprache die ihnen verliehen ist und sie höherer Gedanken 
theilhaftig macht, werden sie dem Menschen fast gleichgestellt, der ihnen 
gegenüber manchmal feindselig auftritt und gerade nicht in gutem 
Licht erscheint, aber auch oft den Kürzern zieht. Der schwache Sper 
ling weiß den ihm befreundeten Hund an dem unbarmherzigen Fuhr 
mann zu rächen, den er völlig ins Verderben lockt. Dann aber zeigen
	        
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