Full text: Kinder- und Hausmärchen (3)

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sich herbei bewegen und zusammen schlagend ihren Feind erdrücken. 
Gessers Kampf mit ihnen bat völlig mythische Geltung: er soll den 
Widerstreit des Guten und Bösen darstellen, aber nur nach derAusicht 
des Gedichts, denn seinen Handlungen liegt kein Gedanke zu Grund 
der uns Achtung einflößen könnte. Alles was er und seine Helden 
vollbringen, wird durch Trug, gemeine Verstellung und unwürdige 
List erreicht: er übt ohne Zaudern erbarmungslos die rohsten Grau 
samkeiten, schneidet dem Kind die Hand ab, die er ihm erst gestreichelt 
hat, und während er sich den Schein gibt, als wolle er den Segen 
empfangen, schlitzt er dem Lama den Leib auf und zerreißt dessen Ein 
geweide. Nur der Gegensatz zu dem niederträchtigen Tscbotong, der, 
obgleich ein Fürst, Schläge hin nimmt und in knechtischer Furcht unter 
den Tisch kriecht, Roßäpfel und Leder als gute Speise verschluckt, hebt 
ihn etwas: doch menschliches Gefühl zeigt er nur in der Liebe zu 
seinem irdischen Vater, der gleichwohl seine Verschmitztheit empfinden 
muß. Wir suchen bei ihm vergeblich einen Anhauch jener edlen Ge 
sinnung, die in dem Epos anderer Völker Lebensbedingung ist; das 
Gedicht steht uns in dieser Beziehung in weiter Ferne. Nur in der 
Klage der Tümen (S. 119) die auszieht den verlorenen Gesser zu 
suchen, finde ich eine bessere Stimmung, die sich auch in Sprichwör 
tern, Bildern und Formeln die offenbar herkömmlich sind, erkennen 
läßt: Rogmo Goa, um ihren Schmerz auszudrücken, sagt (S. 81) 
c das Weiße meiner Augen lst gelb geworden. das Schwarze meiner 
Augen ist gebleicht.' Ich löse ein paar einzelne Erzählungen ab, die 
ganz märchenhaft und für uns besonders merkwürdig sind. Die Dar 
stellung darin ist gut und der Inhalt hat die Vollständigkeit und 
Genauigkeit, wodurch die Auffassungen alter Zeit sich auszuzeichnen 
Pflegen. 
Messers Vater will tie Eigenschaften seiner Söhne prüfen 
(S. 32). Er fängt ein Rebhuhn und steckt es in einen Sack, den er 
zubindet. Diesen Sack zu sich nehmend besteigt er einen Büffel und 
läßt den einen Sohn, Namens Dsesse, hinter sich aufsitzen. Als das 
Rebhuhn anfängt zu flattern, bockt der Büffel und wirft den Alten 
ab, der sich todt stellt. Wehklagend eilt der Sohn nach Haus. Am 
andern Morgen macht der Vater dieselbe Probe mit Rongsa, dem 
zweiten Sohn, die ebenso ausfällt. Am dritten Morgen kommt die 
Reihe an Joro, wie Gesser in seiner Kindheit genannt wird. Auf 
dem Weg gelangen sie zu dem Feld eines Ehinesen, das mit Holz ein- 
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