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sich herbei bewegen und zusammen schlagend ihren Feind erdrücken.
Gessers Kampf mit ihnen bat völlig mythische Geltung: er soll den
Widerstreit des Guten und Bösen darstellen, aber nur nach derAusicht
des Gedichts, denn seinen Handlungen liegt kein Gedanke zu Grund
der uns Achtung einflößen könnte. Alles was er und seine Helden
vollbringen, wird durch Trug, gemeine Verstellung und unwürdige
List erreicht: er übt ohne Zaudern erbarmungslos die rohsten Grau
samkeiten, schneidet dem Kind die Hand ab, die er ihm erst gestreichelt
hat, und während er sich den Schein gibt, als wolle er den Segen
empfangen, schlitzt er dem Lama den Leib auf und zerreißt dessen Ein
geweide. Nur der Gegensatz zu dem niederträchtigen Tscbotong, der,
obgleich ein Fürst, Schläge hin nimmt und in knechtischer Furcht unter
den Tisch kriecht, Roßäpfel und Leder als gute Speise verschluckt, hebt
ihn etwas: doch menschliches Gefühl zeigt er nur in der Liebe zu
seinem irdischen Vater, der gleichwohl seine Verschmitztheit empfinden
muß. Wir suchen bei ihm vergeblich einen Anhauch jener edlen Ge
sinnung, die in dem Epos anderer Völker Lebensbedingung ist; das
Gedicht steht uns in dieser Beziehung in weiter Ferne. Nur in der
Klage der Tümen (S. 119) die auszieht den verlorenen Gesser zu
suchen, finde ich eine bessere Stimmung, die sich auch in Sprichwör
tern, Bildern und Formeln die offenbar herkömmlich sind, erkennen
läßt: Rogmo Goa, um ihren Schmerz auszudrücken, sagt (S. 81)
c das Weiße meiner Augen lst gelb geworden. das Schwarze meiner
Augen ist gebleicht.' Ich löse ein paar einzelne Erzählungen ab, die
ganz märchenhaft und für uns besonders merkwürdig sind. Die Dar
stellung darin ist gut und der Inhalt hat die Vollständigkeit und
Genauigkeit, wodurch die Auffassungen alter Zeit sich auszuzeichnen
Pflegen.
Messers Vater will tie Eigenschaften seiner Söhne prüfen
(S. 32). Er fängt ein Rebhuhn und steckt es in einen Sack, den er
zubindet. Diesen Sack zu sich nehmend besteigt er einen Büffel und
läßt den einen Sohn, Namens Dsesse, hinter sich aufsitzen. Als das
Rebhuhn anfängt zu flattern, bockt der Büffel und wirft den Alten
ab, der sich todt stellt. Wehklagend eilt der Sohn nach Haus. Am
andern Morgen macht der Vater dieselbe Probe mit Rongsa, dem
zweiten Sohn, die ebenso ausfällt. Am dritten Morgen kommt die
Reihe an Joro, wie Gesser in seiner Kindheit genannt wird. Auf
dem Weg gelangen sie zu dem Feld eines Ehinesen, das mit Holz ein-
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