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Ehe er kam, ordnete sie nervös vor dem großen Spiegel ihre Frisur,
sprach aber bei seinem Eintritt sehr kühl und herablassend: „Bitte,
nehmen Sie Platz, Herr Kammermusiker."
Knittel machte verwirrt eine übertriebene Verbeugung und er
widerte stolz: „Hausmarschall, gnädige Frau, wenn ich bitten darf."
„Wir wollen uns offen aussprechen, Herr Hausmarschall. Wir
sind beide alt geworden — ja, bitte unterbrechen Sie mich nicht —
wir sind alt und beurteilen jetzt die Vergangenheit ernst, aber mild.
Hätte man uns einst nicht auseinander gerissen, wer weiß, ob wir uns
nicht von selbst noch getrennt hätten? Denn je länger ich seitdem über
unsere Charaktere nachgedacht habe, umso besser scheint mir das Schicksal
es mit uns gemeint zu haben, indem es uns trennte. Nur eins hat
seitdem mein Gemüt bedrückt: daß ich für unsere Tochter nicht sorgen
konnte, ja, sie nie wiedergesehen habe und nicht weiß, ob, wo und wie
sie lebt."
Knittel sagte erstaunt, sie habe doch die Tochter tagtäglich um sich.
„Das ist des Freiherrn Kind," antwortete die Baronin, „meine
erste Tochter hat mein Vater mir sofort nach der Geburt entrissen.
Sie ist, wie ich später erfuhr, für das Kind einer Magd ausgegeben
worden. Als ich nach zehnjähriger Ehe endlich nreinem Manne davon
erzählte, waren alle Beteiligten teils tot, teils in der Ferne und mein
guter Mann konnte trotz aller Forschungen nichts erfahren außer, daß
das Kind nach Morthausen sehr heimlich verkauft worden war."
Darauf bat sie Knittel, in und um Morthausen nach der Tochter
zu suchen, sie habe damals eine goldene Kette bekommen, die sie vielleicht
noch besäße. Zum Schluß gab ihm die Baronin noch ein beträchtliches
Geldgeschenk und versprach ihm mehr, für den Fall, daß er die Tochter
finden würde.
Da Amalie durchaus mit Kurt nach Deutschostafrika reisen wollte,
verließ Knittel Schloß Room bald.
Er konnte noch kaum wieder in Morthausen sein, als von dort
ein Brief an Ernst eintraf, worin Bona mitteilte, kurz nachdem der
Hausmarschall nach Schloß Room aufgebrochen wäre, sei plötzlich Graf
Julius in seinem best n Automobil mitsamt Ilse Jamm und dem Boy
Scharbani als Chauffeur spurlos verschwunden.
Ernst las das Schreiben nochmals, schüttelte mit dem Kopfe und
merkte, daß Freiin Theodora eingetreten war, nicht eher, als bis sie
ihm die Augen von hinten zuhielt und flüsterte: „Rate, wer ich bin,
dann kriegst Du das Schönste!" Kaum hatte er bann ihren Namen
genannt, als sie ihm die Lippen mit ihrem roten Munde verschloß.
s„Also das war das Schönste," sagte Ernst lücheld, als sie sich
genug des Schönsten gegeben, „nun hab ich auch das dritte Rätsel ge
raten: der Schnurrbart ists."
„Das ist jetzt," versetzte die Freiin, „keine Kunst mehr. Aber das
zweite werden Sie nie erraten, die ,Ungebändigtste' kennen Sie nicht!"
„Stille Wasser sind tief," antwortete Ernst, „ich kenne die Liebe
nur zu gut."
Theodora klatschte in die Hände. „Zwei Rätsel gelöst! Jedoch