Full text: Die Flucht im Automobil nach Italien und Deutschostafrika

74 
Ehe er kam, ordnete sie nervös vor dem großen Spiegel ihre Frisur, 
sprach aber bei seinem Eintritt sehr kühl und herablassend: „Bitte, 
nehmen Sie Platz, Herr Kammermusiker." 
Knittel machte verwirrt eine übertriebene Verbeugung und er 
widerte stolz: „Hausmarschall, gnädige Frau, wenn ich bitten darf." 
„Wir wollen uns offen aussprechen, Herr Hausmarschall. Wir 
sind beide alt geworden — ja, bitte unterbrechen Sie mich nicht — 
wir sind alt und beurteilen jetzt die Vergangenheit ernst, aber mild. 
Hätte man uns einst nicht auseinander gerissen, wer weiß, ob wir uns 
nicht von selbst noch getrennt hätten? Denn je länger ich seitdem über 
unsere Charaktere nachgedacht habe, umso besser scheint mir das Schicksal 
es mit uns gemeint zu haben, indem es uns trennte. Nur eins hat 
seitdem mein Gemüt bedrückt: daß ich für unsere Tochter nicht sorgen 
konnte, ja, sie nie wiedergesehen habe und nicht weiß, ob, wo und wie 
sie lebt." 
Knittel sagte erstaunt, sie habe doch die Tochter tagtäglich um sich. 
„Das ist des Freiherrn Kind," antwortete die Baronin, „meine 
erste Tochter hat mein Vater mir sofort nach der Geburt entrissen. 
Sie ist, wie ich später erfuhr, für das Kind einer Magd ausgegeben 
worden. Als ich nach zehnjähriger Ehe endlich nreinem Manne davon 
erzählte, waren alle Beteiligten teils tot, teils in der Ferne und mein 
guter Mann konnte trotz aller Forschungen nichts erfahren außer, daß 
das Kind nach Morthausen sehr heimlich verkauft worden war." 
Darauf bat sie Knittel, in und um Morthausen nach der Tochter 
zu suchen, sie habe damals eine goldene Kette bekommen, die sie vielleicht 
noch besäße. Zum Schluß gab ihm die Baronin noch ein beträchtliches 
Geldgeschenk und versprach ihm mehr, für den Fall, daß er die Tochter 
finden würde. 
Da Amalie durchaus mit Kurt nach Deutschostafrika reisen wollte, 
verließ Knittel Schloß Room bald. 
Er konnte noch kaum wieder in Morthausen sein, als von dort 
ein Brief an Ernst eintraf, worin Bona mitteilte, kurz nachdem der 
Hausmarschall nach Schloß Room aufgebrochen wäre, sei plötzlich Graf 
Julius in seinem best n Automobil mitsamt Ilse Jamm und dem Boy 
Scharbani als Chauffeur spurlos verschwunden. 
Ernst las das Schreiben nochmals, schüttelte mit dem Kopfe und 
merkte, daß Freiin Theodora eingetreten war, nicht eher, als bis sie 
ihm die Augen von hinten zuhielt und flüsterte: „Rate, wer ich bin, 
dann kriegst Du das Schönste!" Kaum hatte er bann ihren Namen 
genannt, als sie ihm die Lippen mit ihrem roten Munde verschloß. 
s„Also das war das Schönste," sagte Ernst lücheld, als sie sich 
genug des Schönsten gegeben, „nun hab ich auch das dritte Rätsel ge 
raten: der Schnurrbart ists." 
„Das ist jetzt," versetzte die Freiin, „keine Kunst mehr. Aber das 
zweite werden Sie nie erraten, die ,Ungebändigtste' kennen Sie nicht!" 
„Stille Wasser sind tief," antwortete Ernst, „ich kenne die Liebe 
nur zu gut." 
Theodora klatschte in die Hände. „Zwei Rätsel gelöst! Jedoch
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.