46
Kest'schen Famile eine außerordentlich große, aber ebenso außerordentlich
schöne Oberlippe, den zartesten Teint und die feurigsten Blicke besaß,
ward mir in kurzer Zeit mehr, viel mehr als eine Schülerin. Da ich
das unbedingte Vertrauen meines Gönners besaß und ich und die ent
zückende Gräfin vor aller Welt die größte Vorsicht übten, verlebten nur
in stiller Verschwiegenheit manche Stunden voll des größten Glückes
das die Erde zu bieten vermag. Aber unser Umgang und seine Folge»
ließen sich ans die Dauer nicht mehr verbergen, es gab eine furchtbare
Szeue zwischen mir und dem Grafen. Theodora war mir ganz ergeben,
darum glaubte ich auf unsere Liebe pochen zu dürfen. Aber bald saß
ich vor der Tür des Schlosses. Ich sollte die Süße nicht wiedersehen.
Sie reichte, wie ich viel später erfuhr, auf Befehl ihres Vaters den:
Freiherrn von Room ihre Hand. Ihr ältestes Kind, eine Tochter, ward
nach ihr benannt. Und nun werden Sie, junger Freund, sich denke»
können, wessen Tochter Ihre angebetene Freiin ist!"
Er atmete tief auf und goß hastig zwei Gläser Wein hinunter.
Ernst war ini Innersten bewegt, wollte antworten und wußte doch nicht
was. Auch Kuittel schieg.
Aus dieser Verlegenheit riß sie Scheugle, der in den Keller trat
und, als er die Kumpane vor dem Festwein sitzen sah, auch kein Bier
trinken wollte. Bona mußte wieder drei Flaschen des Albtschen Weins
holen und, als sich auch Ol, Kaspar, Kurt und Otto noch einfanden,
noch deren vier, sodaß für den Abend nur elf übrig blieben.
Schengle schimpfte auf das Richterkolleginm eines Plakatausschreibens,
das ein gegen alle Forderungen gefertigtes Machwerk preisgekrönt habe.
„Der Henker hole," rief er, „alle Preisausschreiben! Die Gesamtsumme
der Preise steht zur Gesamtsumme der Arbeit in gar keine»: Verhältnisse!
Ein ganz erbärmliches, prahlerisches Lotterie- und Reklamespiel! Und
dabei, wenn ich nicht bald nach Italien fliehe, fressen mich noch meine
Schuldner auf wie einstmals die Mäuse den Hatto! Das sag ich euch:
kommt ihr nächste Woche immer noch nicht mit nach Italien, so mach
ich mich ganz allein auf die Socken!"
Karl blies dicke Wolken ans seiner afrikanischen Kürbispfeife und
sagte: „Auf keinen Fall warten wir länger!"
Ol machte ein recht verdrießliches Gesicht und erklärte, es bleibe
ihm bei seinem Geldmangel nichts weiter übrig, als seine kostbaren
Altertümer zu verkaufen, wenn er überhaupt nur die Reisekosten nach
Italien und Deutschostafrika zusammenbringen wollte.
Die sechs Künstler machten sich auf, um die wertvollen Stücke zu
besichtigen. Kaum waren sie aber in Ols Bude angelangt, als die un
sichtbaren Klopfgeister, diesmal sogar am helllichten Tage, ihr Treiben
begannen. Während die anderen die wunderbaren antiken Vasen, Teller,
Krüge und Lampen betrachteten, war Knittel von den Geistern ganz
behext, die bald da, bald dort klopften, und von denen er auch nicht die
geringste Spur entdecken konnte.
Zuletzt klopfte es auch noch an der Stubentür. aber statt der er
warteten Geister traten zwei Polizisten ein. Da schwiegen die Geister