Full text: Kultur der Geselligkeit; Intimes Musizieren; Ausklang; Harry de Garmo in memoriam (Band 3, Teil 2)

— Mo ~ 
Wie meine sämtlichen Altersgenossen der jetzigen Generation erlebte ich 
noch fast anderthalb Jahrzehnte des 19ten Jahrhunderts in einem für al 
le Bildungseinflüsse ganz besonders^aufnahmefähigen Alter . Möchte man 
das achtzehnte Jahrhundert als das zeüalfer der immer mehr zur ^eltung 
kommenden Aufklärung »die ja ihren Anfang schon während der Renaissanae 
zeit nahm , bezeichnen »so nahm diese im 19 ten Jahrhundert gewiss ih 
ren Portgang ,wiewohl schon die ersten Jahrzehnte im Zeichen jenes gros 
sen und universellen Umschwunges im Empfinden und senken ,den man gemeir 
hin "Romantik " zu nennen pflegte »standen • Riese trat auf gewisserma#e 
ßen als §egensatz zur Aufklärung ,deren Grundcharakter ein unbedingter 
Glaube an die Vernunft war* ,Als apodictische Wahrheit verkündete die 
Aufklärung ,dass nur durch Vernunft und Wissenschaft der Weg zu jeder 
Erhöhung menschlichen Daseins führt . Anders dachte die Romantik »die 
sozusagen als Reaktion gegen die Überschätzung des Rationalen auftrat 
wie ja jede geistige Bewegung immer wieder gegensätzliche Tendenzen 
zur Auslösung bringt •- Die Romantik ,die Gemüt und Seele in der Über 
spitzung des Nationalen vernachlässigt fand »suchte die schöpferischen 
Lebenskräfte nicht in der Vernunft allein »sondern in den Tiefen des 
emütes . Aber schliesslich schoss die romantischen Einstellung mancher 
Denker und Dichter im 19 ten Jahrhundert vielfach übers Ziel und rief 
wieder slck scharf von i&r abhebende Gegenwirkungen hervor . Auf allen 
geistigen Gebieten wurde die romantische Denkweise von den immer mehr 
**eltung gewinnenden Fortschritten der Naturwissenschaften wieder zurück 
gedrängt . Überhaupt gab der üissensehaftxSgeist - insbesondere die 
Historie - der zweiten Hälfte des I9ten Jahrhunderts ein ganz individuel 
les Gepräge und schlug alle u ebildfcten immer mehr in seinen gann • Eine“ 
besondere Sensation brachte der durch die aufblühenden Naturwissenschaft 
ten mit grösster Intensität zum Durchbruch kommende Entwicklungsgedanke, 
der dann alle Seiten des geschichtlichen Lebens erfasste . Sprache und 
Mythologie »gesellschaftliches und wirtschaftliches »Literatur unc 
Kunst »Wissenschaft und Philosophie »alles wurde nun unter dem Gesichts 
Winkel organischer Entwicklung gesehen . In diesem engen Rah^meaa ist e3~ 
natürlich unmöglich »in grossen Linien und kurzen Formulierungen 
die ein ganzes Jahrhundert beherrschenden geistigen Tendenzen zu skiz 
zieren, aber wenigstens andeutungsweise wird aus dieser knappen Charakte2 
risierung der sich aus allen diesen -“estrebungen entwickelnde Hang zur*“ 
Erwerbung enzyclopaedischen lissens erkennbar »den man selbst bis weit 
in das 2o te Jahrhundert hinein »wenn man an dem geistigen ^eben nur 
irgendwie teilnahm»unterworfen blieb . Als Kind der Zeit und vom Zeit** 
geiat ebenjzu sehr angekränkelt entwickelte sich auch^in mir der ohBediee 
schon latent vorhandene Hang zum Polyhistor . Einer Füh27ung durch vo2v 
bildliche Hehrer *wie sie zumeist derjenige findet , der seine Bildunge 
elemente aüf einer Universität sich anzueignen Gelegenheit hat,musste ~ 
ich entraten . Selbst musste ich mir Führer sein und den ungleich schwic 
rigeren Weg der Selbsthilfe beschreiten »einen Pfad »der bei gering ent 
wickelten kritischen Vermögen leicht in die Irre führen kann* ü&s im 
gespräch mit Faust der recht philisterhaft gezeichnete Magister Wagner 
- mit dem ich mich allerdings nicht identifizieren möchte - sagt »das 
könnte ich aber auch auf den Sturm und Drang meiner jungen läge anwen- 
de* : x . 
M Mit Eifer hab ich mich der Studien beflissen 
Zwar welss ich viel »doch möcht ich alles wissen . M 
Unersättlich wqr ia der |at mein Wissendurst ♦ ^lles 7; äs mir einen Zu 
gang zum Geistigen verhiCss »wurde mit Begeisterung ergriffen . Zur Er 
reichung meiner wahrlich sehr hoch gesteckten Ziele konnte mir aber nur 
das Buch verhelfen . Den Büchern gilt deshalb mein grösster »ja heisse- 
ster Dank . Wenn ich heute noch die lv e±hen an meinen Bücherregalen durcl 
mustere »blicken mich alte Freunde an ♦ Durch den Zahn der Jeit hat ihr 
äusseres iSewand wohl schon sehr gelitten . ^erlesen wie sie sind »mögen 
sie Anderen wenig imponieren »ja fast wertlos erscheinen! Mich ziehen 
eie aber noch ebenso magnetisch wie in jüngeren Jahren an , denn mit 
M
	        
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