— 54
ter ihres offiziellen Kritikers Latwesen akzeptierte . Nachdem ich
also sozusagen meine Prüfung bestanden habe ,besuchte ich nun in
len folgenden Jahren in der erwähnten Eigenschaft das Schauspiel
des Theaters noch öfter als sollst •
Im Jahre 19o9 sollte mit Ende der Saison das alte Theater entgültig
seine Pforten schliessen »um ganz vom Erdboden zu verschwinden »aber
das neue Leben ,das aus seinen Ruinen erwuchs »spielte sich nicht
wieder in einem Mugentempel »sondern indem später, neu erstehenden
früheren Pietz*sch^n Warenhause ab. In der Theatergeschichte Kas
sels war also das Jahr 19o9 bedeutungsvoll. Nun hiess es Abschied
nehmen von der alten ehrwürdigen Kunststätte »die schon so vielen
Generationen zur Erbauung gedient hatte • Per Intendanz oblag es
nun,dem Spielplan in diesem Abschiedsjahre eint besonderes und in
teressantes fölief zu*geben »aber dazu schien sie sich von einigen
Ansätzen -abgesehen nicht aufschwingen zu können . Selbst in den Ur-
aufführungenzeigte sie keine glückliche Hand .So brachte man in je
nem Jahre^u. A. als Uraufführung ein# Schauspiel einer in weitesten
Kreisen unbekannten DichterinFrl von Förster - ich glaube das Stück
war M Brautfahrt " betitelt - eine ziemlich dilettantische Arbeit ,
die kaum eine andere Theaterleitung von Rang der Aufführung für wert
erachtet hätte . Einer anderen Uraufführung dem Schauspiele M Heim
kehr M kam auch eine mehr lokale Bedeutung zu*Immerhin erwies sich
dieses Werk »das nach meiner Erinnerung eine warmherzige Apologie
des Christentums zum Hauptvorwurf hatte »als einj beachtenswerte
Talentprobe . Auch die in den vergangenen Jahreft als besonders zugkqe
kräftig erwiesenen Werke der leichten Muse sowohl die Operetten
älterer Herkunft als auch die neuere Production wie z. B. der "Wal
zertraum "von Oskar Strauss »der bekannte Operettenschlager "Pie
Lollarprinzeissin "von Fall brachten der Theaterkasse wertvollen Zu
wachs "»sonst aber dem Hoftheater kaum einen künstlerischen Gewinn.
Der immer in Kassel hochgehaltenen ShakespeareTradition getreu un#i
terliess die Intendanz nicht »auch diesem Genius noch im letzten
Jhhre des alten Theaters zu huldigen .Von den Königsdramen erschien
der seltener gegebene "Richard II" mit Alberti in der Titelrolle
und als letztes ShakespeareSchauspiel Macbeth "mit Bohne als Macbeth
und Frau Bayrhammer als Lady Macbeth . Etwa 124 Jahre vorher hatte #
man mit diesem Shakespearedrama die Aera des deutschen Schauspiels
in dem vorher nur als Opernhaus dienenden alten Theaters begonnen. '
In Beethoven*s Fidelio verabschiedeten sich als Florestan Weltlingei
und in der Titelrolle Frl . Seiffert »für welche in der P’at lange
Jahre nachher ganz gleichwertige Kräfte nicht widergefunden wurden.
Als letzte Oper im alten Hause hatte man „JessondaVon Spohr auser
koren.um den Manen dieses für Kassel*s musikalische Entwicklung so
bedeutsamen Komponisten eine Huldigung darzubringen »aber trotz der
vorzüglichen Interpretation »die der Tristan durch Wuzel fand »ver
mochte man nicht dem schon stark verblassten Werke neues ^eben ein
zuhauchen .Aber es war und blieb ein anerkennenswerter Akt der Pie
tät und vielleicht gerade die Generation »die noch die Fühlung mit
dom Spohr'sehen Zeitalter nicht ganz verloren hattt? , \ird vorwiegend
an diesem Abend der Vorstellung beigewohnt haben »um nochmals den
Anhauch einer längst entschwundenen Kunstepoche zu verspüren . Pie
Trennung von der liebgewordenen alten Kunststätte ist sicherlich der
alteingesessenen Kasselern Familien nich’t leicht geworden • Ein Ge
fühl stiller Wehmut mag die meisten Besucher dieser letzten Vorstel
lung beschlichen habenals der Vorhang zum letzten Male vor ihnen
niederging . Viele Kasseler begriffen einfach nicht »warum dieser
alte »einst aus einem prinzlichen Palais entstandene Kunsttempel ,
der durchaus noch nicht baufällig war*auf einmal den Bedürfnissen
der u egenwart nicht mehr genügen sollte »nachdem darin die gegen
wärtige und so viele vergangene Generationenlhren Durst nach Illu-