Full text: Das Kasseler Theater- und Musikleben im Wandel der Zeiten; Im Banne der bildenden Kunst (Band 3, Teil 1)

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keiten der drei Maler. Daraus zog Ludwig Richter den durch— 
a ?f4. ver8 ^ an( ^^ G ^ en Schluß, daß es ein objektives Sehen nicht 
gibt# Form und Farbe werden immer je nach dem Temperament 
verschieden aufgefasst. In einer geistvollen Variante gab 
dieser Erkenntnis spriter Emile Zola die folgende Deutung# 
'Kunst ist ein Stück Katur gesehen durch ein Temperament.” 
Richtiges Sehen und Werten wollen daher gelernt sein. Der 
naive Genuß muß also ästhetisch vertieft und durch kunsthisto- 
rioche Studien erweitert werden. Man muß schon etv/as über 
iionposition, Zeichnung, Farbe und LichtWirkungen,über Aus 
druck und Idee wissen# Zu leicht vergisst man die Unmenge 
Einzelheiten, aus denen ein Bild vor seiner Vollendung sich 
zusammensetzt, ja man vvürdigt kaum gebührend die Arbeiten, 
aie vorangehen, ehe das Bild sich überhaupt dem Beschauer 
in seiner vollen Einheitlichkeit präsentieren kann. Ihm er 
scheint diese Einheitlichkeit, ja die harmonische Wirkung, 
?J\ Von einem Bilde ausgehen muß, so selbstverständ 
lich wie ein Stück Natur. Aber kaum ahnt er etwas von dem 
Kämpfen und Ringen, das selbst den größten Künstlern unter 
oen Malern nicht erspart bleibt, um i n die entstehende Schöp 
fung die erstrebte Harmonie hineinzubringen. Im Kopfe des 
Künstlers, in seiner x^hantasie, ist das Bild sozusagen schon 
fertig, es ist schon in den Raum gestellt, das koloristische 
Proolem in der Idee bereits vorweg gelöst. Schon in der Un 
termalung wird das Motiv, welches es auch sein mag, auf die 
ixe 11— und Dunk Qi wirkung durchgearbeitet, die Farben werden 
in großen Flächen aufgetragen, oft wird eine beherrschende 
Farbe zu steigern und dann eine ganze Reihe anderer Farbtöne 
zusammenzustimmen gesucht, um den gewünschten Farbenakkord 
zu erzielen. Und nun ist es wieder die Technik, die ganz 
individuell bei jedem Künstler ist. Der eine malt vanz past03. 
uer andere zieht das lasieren vor, wieder einer malt ranz 
transparent, indem er mit einer hauchdünnen Farbschicht die 
ntermalupg durchscheinen lässt. Ja, wer einen tieferen Ein 
blicke in die Werkstatt des Künstlers genommen hat, dem er 
schließen sich die Geheimnisse der Wirkung, die von den großen 
Schöpfungen ausgehen, viel eher. 
Man muß sich ferner in der Kunstgeschichte schon etwas um 
schauen, wenn man als moderner Beschauer einer Kunst der 
Vergangenheit., wie sie vorwiegend in der Kasseler Gemälde 
galerie sich darbietet, Interesse abgewinnen will. Die Kunst 
geschichte lehrt auch, daß alle Kunst, die den Ausdruck ihrer 
und inres Volkes widerspiegelt, und z>var in einer an 
sich vollendeten Art, Aussicht auf dauerndes Leben und blei 
benden Wert hat. Was eben innerlich wahr ist, behält seinen 
•ert, auch wenn es durch die ^ngunst der Mode eine Zeit lang 
zurückgedrängt wird# Man muß also in den Kunstwerken Doku 
mente des Willens und der Anschauungen vergangener Zeiten und 
Persön1iohkeiten sehen und die Unterschiede zwischen unserer 
Gegenwart und der Vergangenheit zu erkennen suchen. Das ist 
dann die historische Seite der Kunst. Wie verschieden sind 
doch die behandelten Stoffe, wie hat sich oft der koloristische 
Geschmack gewandelt! Erst nach langen Jahren dieser ästheti- 
^4* ^ und kun^thistorisehen Studien in steter Wechselwirkung 
mit den stets erneuerten Besuchen der Gallerie kam ich zu 
einem tieferen und nachhaltigeren Genuß der einzelnen Werke 
und so xern mir die alten Meister in der ersten Zeit standen, 
um so näher rückten sie mir im Laufe des Vierteljahrhunderts,
	        
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