Full text: Streiflichter auf das wirtschaftliche, geistige und gesellige Leben Kassels (Band 2)

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nur willenlose Diener eines absolutistischen Willens waren. Eine mar 
kante Persönlichkeit von hoher geistig©! Veranlagung war er es auch, 
der sich unerschrocken an die Spitze der städtischen Deputation stell 
te, die dem Kurfürsten die Bittschrift der Kasseler Bürger um Erlass ei 
ner Verfügung ,die dem Lande eine Verfassung geben sollte ^überreich 
te (Ludwig Emil Grimm hat bekanntlich diesen historischen Augenblick 
im Bildejfestgehalten ) . Friedrich Oetker ,sein Zeitgenosse ,dessen 
Bedeutung im geistigen Leben Kassel's noch später gewürdigt werden 
soll,hat Schomburg's Wirken im Landtage miterlebt und in einprägsamen 
Worten voll aufrichtiger Bewunderung den Eindruck geschildert ,den 
Schomburg's Persönlichkeit allenthalben hervorrief : 
... " Wer könnte ihn je vergessen , der ihn gekannt, der ihn gehört hat, 
Man wusste häufig nicht,was man mehr bewundern sollte , seine klare , 
ruhige würdevolle Leitung der Verhandlungen oder seine treffende ,stets 
angemessene und oft wahrhaft erschütternde Beredsamkeit . Erfüllte ihn 
ein O e g ens -tand ganz ,galt es Wahrheit und ewige M enschenrechte gegen 
Vorurteil oder Selbstsucht zu verteidigen ,dann würde seine Rede tief, 
die Stimme bewegt und jedes Wort hauchte einen so heiligen Ernst , eene 
solche Macht der Überzeugung aus ,dass jeder Zuhörer bis ins innerste 
lieben ergriffen wurde und zuweilen die ganze Versammlung wie von einem 
electrischen Schlage bewegt ,sich besitimmend erhob. . 
Von Schomburg ging auch die Initiative zu der im Jahre 1832 erfolgten 
Errichtung der polytechnischen Schule aus ,die zuerst am Martinsplatz 
ihren Sitz hatte . Den Zeitgeist ,der es erheischte A durch gründliche 
mathematische und naturwissenschaftliche Forschungen eine höchst nütz 
liche Rückwirkung auf das Erwerbsleben herbeizuführen ,hatte Schomburg 
richtig erfasst,als er hervorragende Männer der Wissenschaft für das 
neugeschaffene Polytechnikum zu gewinnen wusste . Zur Leitung desselben 
wurde der berühmte Chemiker W ö h 1 e r berufen ,der im Jahre 1836 
durch den noch bedeutenderen Robert B u n s e n ersetzt wurde . Zum 
Lehrkörper dieses Bildungsinstitutes gehörten auch andere wissenschaft 
lich bedeutende Männer ,wie der Chemiker und i4 ationalökonom Karl Winkel 
blech (%»rlo ), der v erfaseer der " Organisation der Arbeit " und Vater 
des kleinbürgerlichen Sozialismus ,der Zoologe und Botaniker Philipp.i, 
der Mitbegründer des bereits gewürdigten» Vereins für Naturkunde ,der 
Mineraloge Duncker ,der Architect Ungewitter . Als Wiedererwecker der 
gotischen Baukunst hat sich Ungewitter einen ^amen gemacht und viele 
Schüler nach Kassel gezogen , die über die hesssischen Grenzen hinaus 
das ^auleben beeinflussten . Wie bedeutend Ungewitter auch als Lehrer 
war ,so wenig konnte er im praktischen Wirken Denkmale seiner künst 
lerischen Ideen schaffen . In Kassel ist es lediglich die sogenannte 
Weinkirche in der Bahnhofstrasse ,die an seine Tätigkeit als praktie 
scher Baukünstler erinnert . 
Wieder waren es die Realwissenschaften , die durch Schomburg's Anregung 
in Kassel auf diese Weise wesentliche Förderung fanden ,aber daneben 
stand nach Eröffnung des Candtages das politische heben im Brennpunkt 
des Interesses und rief alle geistigen ^räfte ,die damals in Kassel 
führend waren und bestimmenden Einfluss auf grosse ^evölkerungskreise 
sei es als Redner sei als Publicisten susiibten ,auf den Plan . 
Im Grunde waren die beiden sich bekämpfenden Parteien die Ultrabibera- 
len und die Anhänger der Regierung . Die libra?ale Erfassung von 
183o war dem ganz reactionär gesinnten Kurprinzen und elfteren Kurfürs 
ten Friedrich Wilhelm II ein Dorn im Auge und damit war auch vom vorn 
herein dem eigentlichen geistigen Urheber derselben dem Professor 
Sylvester Jordan feindlich gesinnt. Als Deputierter der Universität 
Marburg genoss Jordan in Kassel eine fast beispiellose Popularität . 
Von Geburt Tiroler kam ihm als Politiker und Staatsrechtslehre!* eine 
ausserordentlich wirkungsvolle Beredsamkeit zu Statten . Das ungezwun 
gene Auftreten dieses echten, Gebirgesohnes ,der es liebte_,den Hut mit 
einer Rose zu schmücken und ^ölken hinter dem Ohre zu tragen ,ja, sich 
mit aller Welt zu duzen A hatt@ für die sonst so steifen Kasselänor 
einen eignen Reiz . Die herzen flogen ihm zu . In ihm sah man den Frei-
	        
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