Full text: Streiflichter auf das wirtschaftliche, geistige und gesellige Leben Kassels (Band 2)

verboten . Am 25 Februar richteten aber 115 Mitglieder der Alt 
städter Gemeinde an ihren zweiten F r *di^er ein Schreiberimit einer 
kategorischen Erklärung schliessend »die an Deutlichkeit nichts zu 1 
wünäehen übrig Hess. Dieselbe lautete : 
M Ein Prediger »welcher damit umgeht eine eigne Sekte zu bilden und 
dieser vom allgemeinen Kirchenglauben abweichende Lehren vorzutra 
gen »der dürfte auch ,wenn er das wirklich glaubt »wgs er lehrt ,die 
Einsicht von der Wichtigkeit und Heiligkeit seines Berufes besitzen, 
<?asc er diese Lehre nur den AuserWählten vorträgt »welche unter sei 
ner Leitung zu J einer näheren Anschauung Gottes gelangen zu können 
glauben »aber von einer Semeinde scheidet »welcher er sich selbst 
durch seine Lehren entfremdet hat • Was Sie aber auch in dieser Hin 
sicht zu tun gesonnen sind »wir selbst werden »nachdem wir die Über 
zeugung erlangt haben »dass die von Ihnen verbreiteten Lehren Irr 
lehren und dem Geiste des Christentums fremd sind »niemals weder 
eine Kirche besuchen , in welcher Sie die Kanzel betreten »noch unse 
re Kinder Ihrem Religionsunterricht® anvertrauen »sondern »wenn es 
sein muss »uns als eine Kirchengemeinde auflosen und zu anderen Ge 
meinden übergehen »welche der Leitung solcher Seelsorger anvertraut 
sind »zu denen wir ein grösseres Zutrauen haben . Überzeugt »dass 
Sie diese Erklärung nicht darüber im Zweifel lassen kann, was Ihnen 
in einem solchen Falle Ehre und Klugheit zu tun gebietet »bitten wir i 
Sie »dieeelbige zu beherzigen und dadurch jedes weiteres Ärgernis 
zu verhüten." 
In dem Schreiben wurde er ferner auch Jer Verkündigung von Grundsätze 
beschuldigt »welche die Heuchelei befördern und den Despotismus 
selbst in Religionssachen einführen möchten .Fast alle Gesellschafts_ 
kreise billigten das. Vorgehen gegen den Pfarrer Lange »gewiss ein 
Beweis dafür »dass die früher so streng beobachtete hessische Kirche^ 
zucht unter der Herrschaft des Nationalismus »nach dessen Grundan 
schauung di® Manschen besser und frommer würden »v/ennjnsn ihre Ver 
nunft besser bildete ,'wesentlich nachgelassen wie überhaupt das kirc_ 
livhe Bewusstsein einen argen Stoss erlitten hatte • Eine nachteilig 
Wirkung in kirchlicher Hinsicht übte schon das liederliche Treiben 
am westfälischen Hofe aus . Die Gleichgiltigkeit gegenüber der Kirch 
war in den besseren Gesellschaftsechichten in bedenklichem Maße ge 
stiegen »während die unteren Volksschichten im Guten wie im Bösen 
viel eher an den alten Gebräuchen festhielten . Auch der Aufschwung 
der 7/isgenschaften ,insbesondere der Naturkunde,hatte eine fühlbare 
Wandlung des geistes herbeigeführt una die früher sp wohltätig , jetz 
&ber als beengend empfundenen Fesseln des Glaubenös gesprengt . 
Manche Theologen »die den Seist der Zeit rascher erkannten »suchten 
sich dem neuen G e j_gtfe anzup&ssen und schlugen eine liberalere und 
weniger auf das Dogma sich stützende Richtung in der Auslegung der 
Christenlehre ein. Aber Männer, die von solchem Glaubenseifer beses^ 
sen waren wie Pfarrer Lange »dachten garnicht daran »sich zu irgend 
welchen Kompromissen bereit zu finden . Lsnge »über den übrigens 
das Konsistorium zunächst seine schützende Hand hielt und ihn erst 
später als die Bevölkerung offenbar unbedingt darauf bestand »nach 
Eschwege versetzte »suchte zu seiner Verteidigung nachzuweisen »dass 
die i&m vorgeworfeneH Irrlehre nichts anderes sei als die Lehre von 
der Rechtfertigung durch den Glauben allein »also die Fundamentsl- 
lehre^der Reformation und der in der hessischen Kirche zu iv echt be 
stehenden Bekenntnisse , Ja , Lange ging sogar so weit »dass er in 
einer Aufforderung zur Teilnahme an dem von ihm mitgestifteten Mis 
sionsverein u. A, den 6atz aufstellte »dass Verblendung und 
hohle Selbstgenügsamkeit sei »wenn der Mensch wähne »durch einen gu 
ten Lebenswandel,allein einen gerechtan"Anspruch auf ewige Seligkeit 
zu haben . Die von ihm abtrünnigen Gemeindemitglieder verlangten 
aber nach wie vor »dass ihre Kinder in einem Glauben erzogen werden 
welcher mit der v ernunftlehre vereinbar seil/und begründeten dies da 
mit ,das3 wer stets nach seiner Überzeugung daaJJut® tue und das 
Böse meide und einen rechtlichen,wohlgefälligen Lebenswandelführe 
auf die Seligkeit Anspruch habe »möge er einem Glauben »ngehören
	        
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