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erfahrung und Menschenkenntnis durch nichts besser ersetzt werden konn-
ft te als durch das Insichaufnehmen des in Shakespeare's Werken gestalte
ten Menschentums • Je mehr ich mich damals in seine Werke vertiefte,,
desto mehr geriet meine Seele in Aufruhr und tatsächlich glaubte auch
I ich - wie es Goethe so schön durch den Mund Wilhelm Meister’s ausspricht
vor den aufgeschlagenen Büchern des Schick^^Ls zu stehen , in denen
der Sturmwind des bewegten Lebens saust und eievtiewalt rasch hin-und
widerblättert . " Mit dem Senkblei der Erkenntnis reichte Shaksepeare
tief hinab in die Abgründe der Seele und die menschliche Natur kannte
I er so gut,dass er die ^enschen handeln und reden lassen konnte,wie sie
wirklich waren , wohl wissend » dass ihr nur selten von Vernunft und
Sittlichkeit geleitetes Handeln zumeist den Antrieben ihrer* sinnlichen
A ’atur erliegt . Wie vielfach auch in der wirklichen Welt sind in Shake«
speare's Gestalten die keinerlei Logik kennenden Gefühle und Leidenschad
ten von bestimmenden Einfluss auf deren Handlungen . In dieser Sprache
1 reden sie und darum ist auch bei Shakespeare die Schilderung der Men
schen , die in der eignen Brust Glück und Unglück bergen , von unnachahi •
licher Wahrheit • Wahr ist. aber auch , was ein Shakespeare deutender
Dichter über dessen Sprache sagte , "die bald einhertost wie ein Berg
strom , bald zärtlich kost wie um Blumenkelche summende Bienen,bald när^
risch klingelt wie Harlekins Schellenkappe ,bald gedankenschwer ein&er-
1 ® dröhnt wie Glockenklang , bald süss tönt wie die Liebe »bald herb ,
eckig schroff wie Hass und Zorn und die jeder Empfindung , jedem Alf ecu
jeder Leidenschaft der Alltäglichkeit wie der Erhabenheit den entspre
chenden Ausdruck unterbreitet . "
Natürlich fesselte mich am meisten die geheimnisumwitterteErscheinung
I seines Hamlet , in die Shakespeare sein eigenstes tiefstes Em$fin en ?
Denken und Wollen hineingelegt hatte . Mit ihr hat er sich selbst ein
ewiges Denkmal gesetzt und es war für mich von grossem Reize , das gan
ze Problem der ^amletgestalt so wie es von grossen Geistern ausgelegt
wird * in einem Vorträge aufzurollen . So wandelte ich bei Ausarbeitung
t meines,Vortrages auf gedanklichen Höhenpfaden und die weltschmerzliche
■ (| Hamlet-atmo3phäre , in die ich mich hineingesteigert hatte , brachte
' mich mit fast unabwendbarer Konsequenz in die Gedankensphäre eines Den-
K kers , an den ich schon längst mein Herz gehängt hatte , zu Schopenhau
er . Immer bleibt es zwar ein etwas delikates Unterfangen , wenn ein
"Armer im Geiste" sich irgendwie mit einem grossen Geiste in Beziehung
ft zu bringen sucht . Leicht kommt man dann in den Verdacht , sich ein
interessantes Relief geben zu wollen . Aber selbst auf diese u efahr hin I
muss ich - um derWshrheit die ähre zu geben- bekennen , dassles mir mit I
Schopenhauer ganz ähnlich>wle es einst Nietzsche ging,passierte . Immer j
- auch schon als junger Mann- allen Prägen des höheren geistigen Lebens I
I zugeneigt und auf der Suche nach einem Weltbilde , das mir ermöglichte, I
eine echt künstlerische Lebensanschauung in mir auszubilden , fiel ge
nau wie es eben auch bei Nietzsche der PacSl ge esen war »in einem Anti- |
I quariat mein Blick auf^Schopenhauer*s Hauptwerk "Die Welt axs Wille und J
; Vorstellung " Mit der ^ektüre dieses Werkes - wenn es mir auch damals ■
Hamburg noch an manchen Stellen ein mit vielen Siegeln verschlossene.
B Buch blieb - geriet ich ganz in den Bann dieses Denkers , in dem ich
I nun den geistigen Führer und Erzieher gefunden hatte und das , was
) Nietzsche in seiner dritten im Jahre 1872 erschienenen "Unzeitgemässen
Betrachtung "-Schopenhauer als Erzieher-sagte :
w Ich gehöre zu den Lesern Schopenhauer’s , welche , nachdem sie die
erste Seite von ihm ge&eenn haben » mit Bestimmtheit wissen , dass 3ie
■ alle Seiten lesen und auf jedes Wort hören werden , das er überhaupt
gesagt hat . Mein Vertrauen zu ihm war sofort da und ist #etzt noch
ft dasselbe wie vor neun Jahren • "
| das traf auch - man verzeihe mir die Parallele - bei mir zu. Ich las
nicht Schopenhauer , mein , ich verschlang i&n geradezu , allerdings
* nicht wie Nietzsche , der ja zuerst ganz in Schopenhauer’sehen Gedan*-
kenkreisen verharrte , bis er sich später von ihm abwandte , um zur