Full text: Meine Kasseler Zeit (Band 1)

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eitionellen Ansichten , um den Verkehr mit dem feinen,mir auch als Me;- 1 
sehr wertvollen Musiker nicht einzubüssen . Als ich einmal Sehmutzier zv 
dem ^rossen Erfolge seiner Kulturmission als Musikerzieher der Heilbron» 
ner Strassenjugend beglückwünschte ,weil ich es geradezu auffallend fand 
dass die Jungens auf der Strasse in der Nähe seiner Wohnung fast alle be 
kannten Motive aus, den Wagner’ sehen Werken pfiffen »lehnte er dies.«® Ver 
dienst kategorischab und wie3 auf seinen Papagei ,der in Wirklichkeit je 
ner Kulturpionier war ♦ In dem langjährigen Verkehr mit seinem musikali 
schen Herrn hatte dieser musikliebende Papagei sich die w agner* sehen Mo- 
tibe angeeignet und pfiff sie dann mit absoluter musikalischer Richtig 
keit zum Fenster hinaus . In den jungens auf der Strasse fand er gelehri 
ge Schüler »die durch ihn zu ausgesprochenen Wagnerianern wurden . Die 
ses eigne Papageienerlebnis ruft mir eine andere Papageiengeschichte in; 
Gedachtnis >die ich in den Erinnerungen der berühmten Sängerin Lilly Leh 
mann las. Hier übte ein Papagei ,der dem Bassisten ^rengg an der Wiener 
Hofoper gehörte »eine erzieherische Mission in anderer Art aus . Wie die 
meistens Bassisten hatte ^rengg das Bedürfnis »die- trockene Sängerkehle 
häufig anzufeuchten . Er tat dies meistens so gründlich »dass er sehr of' 
im berauschtem Zustande erst um 5 Uhr Morgens oder noch später nach Hau 
se kam . In dieser erfassung konnte er aber bei seinem Papagei keine 
Sympathien erringen . da »dieser zeigte ihm ganz offenkundig sein Mißfal 
len über seinen "ebenswandel in einer kaum gl^ublichlerscheinenden »aber 
um so deutlicheren Form . Während des ganzen *eges würdigte er seienen 
^errn keines Wortes . Auf den Bassisten Srengg, der sich sonst so leicht 
von deinem imponieren liess »machte dieses Schweigen des sonst so gesprä 
chigen Tieres einensolchen Eindruck »dass er tatsächlich nurnoch vor sei 
nem Papagei Iv espect gehabt haben soll. 
Die verhältnismäßig günstigen EinkommensVerhältnisse »die mich in meiner 
neuen ^eislinger Position erwarteten »bewogen mich »meinen Bruder zur Übe 
Übersiedlung von Breslau nach Stuttgart zu bestimme# »damit ich ihn in 
meiner unmittelbaren Nähe hatte und zu seiner Förderung vielleicht Manch« 
beitragen konnte. Tatsächlich teilte ich mehrere Jahre buchstäblich mein ■ 
Einkommen mit ihm »um auf diese Weise ihm zu ermöglichen »sich in seinem 
Künstlejberufe ohne Nahrungssorgen weiterzubilden . Während meiner Geis- 
linger °ahr« trieb mich das manchmal recht eintönige Kleinstadtleben ,im # 
besondere im Winter , fast jeden Sonntag nach Stuttgart »wo ich des viel-* 
gestaltige Stuttgarter Musik -und Kunstleben mit meinem Bruder gemeinsam 
genoss wie auch regsten Anteil an dem Studium meines Bruders an seinen 
Konzertvorbereitungen und an seinen künstierischen Erfolgen nahm. So wur-. 
den die Stuttgarter Sonntage für mich stets zu wahren B es ttagen . In der 
Familie seines Konzertbegleiters des Pianisten und Lehrers am Stuttgar-' 
ter Konservatorium Professor Hermann Blattmacher »dessen ebenfalls sehr 
musikalische Schwester -eine feinsinnige Sängerin -r mein Bruder später 
heiratete »hatte dieser überaus herzliche Aufnahme gefunden und fithltr 
sich dort -ebenso wie ich selbst}? wenn ich meine Sonntage dort zubrachte- 
wie im Elternhause . Als erstrangiger Pianist war Professor Blattmacher 
der Begleiter fast aller grossen Instrumentalisten »Sänger und Sängerin 
nen »wenn sie in Stuttgart oder Würtemberg konzertierten. Für uns junge 
jLeuto hatte es natürlich einen eignen Reiz,wenn er uns aus seinem reichen 
Schatz Erinnerungen an seine gemeinsame Konzerte mit Künstlern wie den 
Geigern Sarasate »Wilhelmy und Joachim »den Sängerinnen Lucca Adelima Pa1 
ti »Rosa Papier »Katharina Klafski »den Sängern Perron »Ernst Kraus , 
Scheidemantel und Anderen erzählte . Als Mensch war dieser ältere Freunc 
ein vornehmer Charakter . Ihm verdanke ieh^besonders die Einführung in c 
die mir damals noch ziemlich unbekannte klassische Klavierliteratur .Die 
Arbeit mit meinem Bruder »dessen .emperament und grosses Vortragst;lent 
er sehr schätzte »wurde ihm selbst zum enuss • Wenn ich aber an den Sonr 
tagen dem gemeinsamen Musizieren der beiden Künstler beiwohnenkonnte und 
auch einen grossen Teil der klassischen Lieder-und Balladenliteratur in 
mustergültiger Larbietung kennen lernte »was mir übrigens später bei
	        
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