Full text: Meine Kasseler Zeit (Band 1)

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Die Regierungen seiner beiden Vorgänger hatten aber zu diesem Aufruhi 
gereizt durch Geiz ,Maitressen - Wirtschaft und dergleichen . Der je1 
zige Herr ist nicht besser »behandelt seine Diener mit Laune und Hart 
so dass alles vor ihm zittert ,kein Wort zu sagen wagt und des Ärgste 
gewärtig ist . Desefenungeachtet hat der Kurfürst Diener »die seine Re 
te besser zu wahren wissen gegen den Andrang des ^eistes durch die St 
de ,als die unseres Königs . Trotzdem fehlt hier die Basis mehr als b 
uns . Heute traf Metternichs Antwort ein auf des Kurfürsten Anfrage , 
ob er nicht mit der Verfassung abfahren könnte ,natürlich eine abweis 
de . Ich würde den Kurfürsten (Jetzt sich s elbst uberlassen .Dem König 
habe ich heute Bericht erstattet,morgen reise ich ab . *'•••• 
Eine den letzten Kurfürsten in allen Beziehungen gerecht werdende Bio-' 
graphie ist bislang in der Literatur noch nicht erschienen ,aber eine 
solche »die den bekannten hessischen Historiker Dr Philipp Losch zum 
Verfasser haben soll ,ist im Entstehen begriffen oder s&ll sogar scho: 
ihrer Vollendung entgegengehen ♦ Inzwischen ist aber dem letzten Kurf 
sten in dem bekannten Schriftsteller Will Scheller ein warmherziger A- 
pologet erstanden »der es verstanden hat ,in einem sehr lesenswerten 
Buche das Wesen und Schicksal des Kurfürsten in den uns über ihn über 
lieferten Anekdoten in überzeugender und interessanter Weise zu er** 
schlieesen . Gerade dadurch dass Till Scheller die Atmosphäre be 
leuchtete , in welcher der ehemalige letzte Kurfprst als Kind aufwuchj . 
macht vieles in seiner Entwicklung als Mensch und Pprst Verständlich , 
Sein eigentlicher Erzieher und natürlich auch sein Vorbild war sein 
Grossvater Wilhelm I. ,ein Autokrat strengster Observanz. Schliesslich 
ist auch nicht zu verkennen »dass es diesem in völlig absolutistische! 
Anschauungen erzogenen Fürsten vom Schicksal Vorbehalten blieb ,gerade 
während seiner Regierung in eine Zeit hineingesteilt zu sein ,in der 
sich die unausbleiblichen Konflikte zwischen dem früher allgemein übli 
chen selbstherrlichen Regime und der erst neu sich bildenden konstitu 
tionellen Regierungaform abspielten . Der neu erstandene Parlamentaris 
mus ,der in kleinen Ländern wie Kurhessen sich nicht gerade mit weltbe 
wegenden Problemen zu befassen hatte — in der ersten $eit der Landtag 
debatten , die in Kassel wie eine mme Sensation wirkten ,wohnten auf 
der ^alerie im Ständeheus viele Frauen mit ihren Strickstrümpfen bei 
und betrachteten die oft 3ehr lebhaften Diskussionen als eine willkom 
mene Abwechslung im täglichen Allerlei — gravitierte ganz nach dem da 
mals im Schwange befindlichen liberalistischen Anschauungen .die sich 
nun einmal mit der absolutistischen Denkweise schwer in Einklang brin 
gen giessen . <äre der Kurfürst ,wie cs bei anderen deutschen Fürsten 
der x 'all war , eine mehr zu Kompromissen geneigte Natur gewesen ,dann 
hätte er sicherlich die ihn und sein Regiment bedrohnnden Klippen bese , 
umschifft . Vielleicht haben gerade die politischen Kämpfe ,in die er 
sich mehr als seine Vorgänger hineingestellt sah ,dazu beigetragen »de 
Nachwelt ein Zerrbild seines Charakters zu vermitteln »das doch manche 
Korrectur bedarf . Durch viele menschliche Züge gewinnt» seine ganze 
Person in den von 7/ill Scheller sehr wirkungsvoll erzählten Anekdoten 
die so sorgfältig gesichtet zu sein scheinen »dass man an ihrer Authen- 
ticität kaum zweifeln darf und der Kurfürst durch sie ungleich sympath: 
scher wirkt ,als wenn sein Bild nur im Lichte der politischen ,während'" 
seiner ganzen Regierungszeit vorherrschenden KampfStimmung der Bevöl 
kerung gezeichnet wmrd . Hoffentlich wird die schon erwähnte Biographi' 
Licht und Schatten richtig verteilen und seine Würdigung gerechter aus* 
fallen als das in die eschichte eingegangene autoritative Urteil des 
grossen deutschen Historikers von Treitschke ,das nach der Ansicht al 
ler hessischen Patrioten als sehr anfechtbar angesehen wird . Nach 
•^reitschke soll der letzte Kurfürst M ein boshafter Menschenverächter 
gewesen sein ,dessen seltsamer ,.halb scheuer »halb stierer Blick ver 
riet »dass er alle fürchtete »keinen ehrte . Schüchtern und limkisch 
im V rkehr und kaum fähig einen längeren Satz zu Ende zu sprechen und 
doch zuweilen in rasendem Jähzorn auffahrend . 
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