Full text: Meine Kasseler Zeit (Band 1)

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wohl,auch seine Regierung als eine uauinsckränkte Despotie angespro- 
cfeen werden kann; Über ihn hat der bekannt©Historiker Dr Philipp Losch 
eine vorzügliche Biographie veröffentlicht • Beinahe zwei Jahrzehnte 
vor seiner Erhebung zum Kurfürsten hat Wilhelm I, schon als letzter 
Landgraf Wilhelm IX. regiert und um sich ein einigermaßen zutreffendes 
Bild vonseiner Persönlichkeit und seinem Charakter zu machen , wird 
man seine Landgrafenzeit nibht ganz ausser Acht lassen dürfen . Seine 
Mutter , die einstige , aus dem englischen Künigshause stammende Erb 
prinzessin Marie muss eine ganz vorzügliche Frau gewesen sein. Von ih 
rem Gatten , dem späteren Landgraf Friedrich II. , der bekanntlich zum 
katholischen Glauben übergetreten war und dadurch seine ^’amilie in g 
grosse Gewissenskonflikte brachte , lebte sie getrennt und residierte, 
nachdem sie Kassel ganz verlassen hatte ,in Hanau , in welcher Graf 
schaft sie als souveräne Regentin eingesetzt war . Sie widmete sich 
dort ganz ihren Söhnen Wilhelm,Karl und Frdziedrich , denen sie eine 
vorzügliche Erziehung angedeihen liess . Insbesond ere war das Ziel ih* 
res ganzen Lebensinhaltes in ihrem ältesten Sohne Wilhelm,dem einsti 
gen Thronfolger , einmal das Ideal eines Fürsten verkörpert zu sehen . 
Trotz der grossen Liebe , die der erste Kurfürst für seine Mutter em 
pfand und deren Andenken er aufs Höchste ehrte ,tat er eigentlich rech? 
wenig ,um diesem Idealbilde wenigstens annähernd nahezukommen . Wie 
seine Brüder verlebte er seine Jugend am dänischen Hofe und wurde nach 
dem Tode seiner Mutter als souveräner Regent von Hanau ihr Nachfolger. 
Erst nach Jahrzehnten hatte er Kassel , aus dem er sozusagen wegen der 
unglücklichen Familienverhältnisse verbannt war , im Jahre 1775 zum 
ersten ^ale wiedergesehenjund doch durfte er es nur incognito aufsuchen 
Erst im ü ahre 1785 also zwei Jahre vor dem Tode des Landgrafen Fried* 
dricfe II. versöhnte er sich wledermit seinem ''ater . Von Natur schlich] 
sehr sparsam »ja, im Alt r geradezu geizig ,fan& er als Erbprinz an den 
Äusserlichkeiten des üppigen Kasseler Hoflebens ,wo das ihm ohnedies 
verhasste Franzosentum dominierte , wenig u efallen . Als er im «ahre 
1785 den Thron seiner Vater bestieg , wurde aus dem an eine prunk—und 
glanzvolle Hofhaltung gewöhnten Kassel bald eine sehr stille Stadt . 
Aber im Volke war er trotz seiner Autokratie , die damals ja von fast 
allen deutschen Fürsten geübt wurde , wegen seiner Leutseligkeit und 
seines einfachen Wesens recht beliebt und die patriarchalische Art , 
in der er regierte ,liess ihn vielen als einen wahren Landesvater er 
scheinen . Im übrigen reiste er viel im Lande herum ,sah selbst überall 
nach dem Rechten und kümmerte eich sehr eingehend um die Verwaltung 
seines Landes . Wie seine Vorgänger war auch er von einer wahren Bau 
leidenschaft besessen und bedeutende Baulichkeiten und Anlagen sind 
seiner Initiative zu verdanken, (^eues Wilhelmshöher Schloss , LÖwen- 
butg,Reugestaltung der Aue und de3 WilhelmshÖher Parkes > der Ausbau, 
der Wasserkünste durch die Errichtung des Aquäductes jf.s.w.) Auch die 
Soldatenliebe teilte er mit seinen Vorfahren . Jedes Jahr nahm er be 
sondere Revuen und Rsraden ab und liess Manöver abhalten »aber Para 
den und Manöver - und hier zeigte sich wieder der sparsame Sinn eines 
guten Haushalters - wurden beischlechtcm Wetter abgesagt , damit die 
Uniformen nicht litten . Schliesslich lief aber seine ganze Soldaten 
spielerei auf eine Hochzüchtung des Kasernen - und Gamaschengeistes 
hinaus und dieser Geist verleidete manchem tüchtigen Officier den 
landgräflichen bezw. kurfürstlichen Dienst . Viele Officier^gingen des- 
hslb^ins Ausland , wo sie zu hohen Ehren kamen . Überdies war die Be 
soldung der Officier« eine sehr schlecht® und erzeugte in ihren Kreie 
sen viel Unwillen . Erst im ^ahr« 18o4 erfolgte eine Aufbesserung , 
die von den Officieren sehr dankbar aufgenommen wurde und dieselben 
veranlaeste , dein damaligen Kurfürst Abendsim Theater eine Ovation dar 
zubringen . Der Hofmaler Böttner musste in einem Bilde den Augenblick, 
wo das Officierskorps dem Kurfürsten eine Huldigung darbringt , lest— 
halten . R as Bild »das m. W. heute im neuen £undgrafenmuseum hängt , 
wurde dem Kurfürsten vom Officisrskorps zum Geschenk gemacht . Aus der 
landgräflichen und kurfürstlichen Residenz waren einfach Paraden und 
sonstige militärische Aufmärsche nicht wegzudenken und in dieser Hin-
	        
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