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Eine Erfindung ist eine auf unwandelbare, als bestehende Thatsache durch
genügendes Studium und Experimente erforschliche physikalische Gesetze und
mechanische Möglichkeiten gegründete Neuschaffung eines den menschlichen
Bedürfnissen entsprechenden Dinges.
Hinsichtlich des lenkbaren Luftschiffes beschäftigen uns also zwei Fragen;
erstens; „Ist ein allen Anforderungen des Verkehrs und der Kriegführung ent
sprechendes Luftschiff ein menschliches Bedürfniss?“ Zweitens: „Lassen die als
bestehende Thatsache unserem Studium sich erschliessenden physikalischen Ge
setze und mechanischen Möglichkeiten die Construction eines solchen zu?- 4
Hinsichtlich der ersten Frage sind wir wohl einstimmig der Meinung, dass
kein Bedürfniss älter und keines lebhafter empfunden worden ist, als sich nach
beliebiger Richtung in den klaren Aether frei emporschwingen zu können. Ist
doch von viel niederen Geschöpfen als der Mensch, nämlich von den Vögeln,
dieses Bedürfniss so lebhaft empfunden worden, dass sogar die Natur bei ihnen
Flügel sich hat entwickeln lassen, was nach Darwin nur auf das lebhafte Em
pfinden des Bedürfnisses zurückzuführen ist.
Die zweite Frage, nämlich die der Lösbarkeit dieses Problems, werde ich
durch die Erläuterung meines Projects beantworten.
Wenn wir an die Lösung einer planimetrischen Aufgabe, z. B. ein Dreieck
zu construiren, gehen, machen wir, wie es uns gelehrt worden ist, erst die Analysis,
d. h. wir machen an einem andern, bereits construirten Dreieck die Studien,
welche uns den Weg zu der verlangten Construction zeigen. Es empfiehlt sich,
etwas Aehnliches auch bei einer neuen Erfindung vorzunehmen, nämlich aus an
deren, bereits gemachten Erfindungen nützliche Lehren für die neue Erfindung
zu ziehen. So kann man z. B. beobachten, dass jedes Geräth, jede Maschine,
von den ersten Anfängen sich von Stufe zu Stufe bei dem allgemeinen Gebrauch
bis zu einer gewissen Vollkommenheit entwickelt hat, z. B. der Wagen, das
Schiff etc.
Die Stufenleiter der Entwickelung des Wagens ist vielleicht folgende: Zu
erst benutzte man wohl die abgeschnittenen Enden eines Baumstammes als Rollen,
um langgestreckte Lasten, z. B. ein Boot leichter bewegen zu können. Später
gab man dieser Rolle eine Achse, es wurde eine Walze, ein Karren daraus, dann
wandte man zwei, endlich vier Walzen an, die Walzen vervollkommneten sich all
mählich zu Rädern u. s. w., bis schliesslich der Wagen seine jetzige Voll
kommenheit erreichte.
Die Stufenleiter der Entwickelung eines Schiffes sind wohl ein schwimmender
Baumstamm, ein Floss, ein ausgehöhlter Baumstamm, ein Kahn, ein Boot, ein
Segelschiff, ein Dampfschiff', ein Kriegsschiff.
Wie verhält es sich nun, von dem Gesichtspunkt aus betrachtet, mit dem
lenkbaren Luftschiff? Als die erste Stufe der Entwickelung eines solchen ist
natürlich der Ballon anzusehen; er ist für die Entwickelung des lenkbaren Luft
schiffes das, was für die Entwickelung des Wagens die Rolle und für die Ent
wickelung des Schiffes das schwimmende Holz war. Wo sind hier aber die
weiteren Stufen der Entwickelung? Warum hat sich das Luftschiff' in dem Zeit
alter der Erfindungen und der vorgeschrittenen Technik in 100 Jahren nicht
weiter entwickelt?
In Wirklichkeit befinden wir uns doch immer noch beim schwimmenden
Stück Holz, das mit der Strömung treibt, das bis jetzt darin geleistete ist doch
für die Praxis, ohne einige theoretische Fortschritte zu verkennen, gleich Null
zu rechnen; wie denn auch meines Wissens kein lenkbarer Ballon im Gebrauch
sich befindet.
Gerade dieser Mangel an jeglicher Entwickelung der Brauchbarkeit ist es,
welcher allgemein zu dem Glauben geführt hat, dass es nicht möglich sei, einen
lenkbaren Ballon zu construiren. Ist dem wirklich so? Oder hat dieser unbe
greifliche Mangel an jeglicher Entwickelung hier einen anderen Grund? — Ja,
er hat einen anderen Grund und zwar folgenden: Der Wagen, das Schiff u. s. w.
waren immer und sind heute noch auf jeder Stufe ihrer Entwickelung gute, nützliche
Geräthe; dagegen ist der Ballon weder auf der ersten noch auf etwaigen folgenden
Stufen seiner Entwickelung bis zum vollständig lenkbaren Luftschiff weder gut
noch brauchbar. Er ist ein überdrüssig gewordenes Sonntagsvergnügen für Schau
lustige, und je mehr er sich zu dem lenkbaren Luftschiff zu vervollkommnen