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Bild an wie Poesie. Von hier wenden wir uns links einer
schattigen Kastanienallee zu, welche uns am großen Gewächs-
hause (rechts) und am Ballsaale (links) vorbei zum Schlosse
leitet. Welch überraschender Blick tut sich da vor uns auf!
Das Auge weiß kaum, wo es zuerst ruhen, was es zuerst auf-
nehmen soll; aber die meisten Menschen mögen wohl in erster
Linie nach „ihm", nach dem Herkules, suchen. Wir treten
auf die Rampe des Schlosses, von welcher sich amphitheater-
artig das glänzendste Parkbild am aufragenden Habichts-
walde darbietet. Da ragt auf dem scharfen Bergesrande,
270 Meter über uns, der Herkules in die Lüfte. Der
Herkules, pflegt man zu sagen; doch wie klein erscheint uns
dessen Figur, trotzdem sie 9 1/4 Meter groß ist. Was wäre sie
ohne den gewaltigen Unterbau, das Oktogon, mit der
Pyramide! Welche wunderbare Harmonie umgibt uns hier,
alles atmet Natürlichkeit, und hinter uns über den mäch-
tigen Säulen, da steht es in goldenen Buchstaben: Wilhel-
mus I. El. condidit!
Freilich Wilhelm dem Ersten war es nicht vergönnt
zu schauen, was uns heute so entzückt, aber er sowohl als
seine treuen Berater, der Architekt Jussow und der Hof-
gärtner Schwarzkopf, wußten, was sie wollten, und sie hatten
Genuß von ihren Schöpfungen und fanden gebührende An-
erkennung bei ihren Zeitgenossen, welche nicht minder be
geistert waren von Wilhelmshöhe als wir.
Es ist schwer zu schildern, worin die nie ermüdende
Wirkung dieses Bildes begründet ist, jedenfalls gliedert sich
jeder Teil, jede Baumgruppe, und vor allem gliedern sich
auch die beiden Architektur-Stücke so musterhaft in das Ge-
samtbild ein, daß alles selbstverständlich erscheint: die Ver-
teilung von Rasen und Pflanzen, von Licht und Schatten,
die verhältnismäßig sparsame Verwendung von Blumen-
beeten, alles ist in glücklicher Weise abgetönt. Und dabei,
wie verschiedenartig ist das Bild zusammengesetzt, es enthält
drei grundverschiedene Motive: in der Mitte die breite, zum
Herkules aufsteigende Rasenbahn, über welche die Bäume
malerische Schatten werfen, rechts ein freundliches, durch
leichte Baumformen und Ziersträucher belebtes Parkbild und
links unter mächtigen düstern Tannen und Schatten ver-
breitenden Ulmen ein geheimnisvolles Tal, aus welchem
das Rauschen eines Wasserfalles an unser Ohr dringt. In
einer Art Überwältigung achten wir kaum des Blumen-
schmuckes, welcher das Schloß umgibt, und doch ist er wert
beachtet zu werden.
Da liegt mitten vor dem Schloß ein Teppichbeet, schein-
bar klein und doch von riesigen Dimensionen, denn es ist
17 Meter lang und 6,5 Meter breit und trägt 14 000
Pflanzen; seine Mitte ist besetzt von einer in Wilhelmshöhe
gezüchteten Begonie, welche gewürdigt wurde, den Namen
Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Viktoria Luise
tragen zu dürfen. Zwei seitliche Scheiben auf diesem Beete
tragen die seltene Begonie Bavaria.
Die Dekorationsbeete auf den Ecken des Rasenplatzes
zeigen uns prächtige Fuchsien-Hochstämme, und vor der
Schloßrampe ziehen Heliotrop-Bäumchen die Aufmerksamkeit
auf sich.
Mit großer Mühe wird versucht, die kahlen Wände des
Schlosses durch Pflanzen zu beleben; da sieht man wilden
Wein — die Sorten Ampelopsis Engelmanni und
muralis —, welche bis unter das Dach ohne Hilfe des
Gärtners emporklimmen, indes der zierliche Ampelopsis
Veitchi die unteren Mauerflächen überzieht; beachtenswert
ist auch ein winterharter Kirschlorbeer, Primus schipka-
ensis, und die winterharten Rhododendron, letztere an der
Nordseite des „Weißenstein" genannten Schloßflügels, wo
kaum ein Sonnenstrahl hinfällt! Mächtige Agaven,
Opuntien zwischen schön blühenden Stauden, bunte Fenster-
kästen mit hängenden Fuchsien, Kapuziner-Kresse, Petunien
und Pelargonien — im Gegensatz zu den üblichen ein- bis
zweifarbigen — zieren die Zugänge und Altane des
Schlosses.
Nun aber lockt es uns, durch den für Architekten hoch-
interessanten flachen Torbogen zu schreiten, um zu sehen,
wie es auf der anderen Seite aussieht. Und es lohnt sich!
Wie anders! Über die mächtigen Baumkronen, frei umher
schauend, erblicken wir das hessische Bergland mit dem
Hirschberg und dem Meißner in der Ferne; wir schweifen
von links her mit den Augen über den Reinhardswald, den
Kaufunger Wald und die Söhre (rechts), suchen den großen
Auepark, unterhalb des schroff abfallenden Weinberges, und
verfolgen auf der geraden Linie der Wilhelmshöher Allee
den Weg, welcher mitten hinein in die Stadt führt.
Rechts unter uns erblicken wir den künstlichen See, den
Lac, der mit seiner geschickten Uferführung als Meisterstück
der Gartenkunst der Beachtung wert ist. Ein Rundgang an
den Ufern des Lac bietet stets neue malerische Eindrücke;
hier sind es die einzelnen Baumformen, dort die mächtigen
Quarzitfelsen, dann wieder die Gesamtbilder mit der Rosen-
insel, dem Oktogon oder dem Schloß, welche unsere Auf-
merksamkeit in Anspruch nehmen.
Auch im Winter übt der Lac große Anziehungskraft
aus; es ist ein entzückendes Bild, wenn hier in dieser Um-
rahmung Hunderte von lebensfrohen Menschen sich der
Wonne des Schlittschuh-Sportes hingeben.
Über den Lac hinweg zwischen den hohen Baumkronen
sehen wir die weite Fulda-Ebene mit dem Dorfe Waldau
und dahinter den Höhenzug der Söhre — eine schöne
Landschaft!
Wir wandern um das Schloß herum, erblicken unten
im Tale die Roseninsel mit einer prächtigen Eiche und gelan-
gen auf einen von dichtem Ulmengezweig beschatteten Felsen-
Vorsprung. Baumwipfel ringsum, darüber schaut vom
Berge die Löwenburg herüber, aus der Tiefe rauscht ein
Wasserfall, Vögel singen und zwitschern. Hier ist der
„Weißenstein", die Wiege der Wilhelmshöhe.
Einst stand hier (1143—1526) über weißen Quarzit-
felsen das Kloster Weißenstein: nichts blieb aus jener Zeit
übrig, nur der Felsen, nach dem das Kloster benannt wurde;
hier war es auch, wo später einmal, als das Kloster verfiel,
Landgraf Moritz der Gelehrte auf einem Jagdausfluge
rastete und, wie der Chronist berichtet, ausrief: „Wie köstlich
ist es hier in dieser Waldeinsamkeit; ich werde hier ein
Schloß bauen." Und so geschah es auch; am 25. Juni 1606
wurde der Grundstein zu diesem Schlosse gelegt, welches
Moritz und seinen Nachfolgern bis zum Jahre 1786 als
Sommerresidenz diente. Eine Inschrift an einem leider
verschwundenen Brunnen kündete deutlich, wie Landgraf
Moritz sich sein „Moritzheim" — so nannte er das Schloß —
dachte, sie war lateinisch und lautete übersetzt:
„Die Stadt mag für sich selbst sorgen, ich ziehe mich
„in die ländliche Einsamkeit zurück, mich stillen Freuden
„und anständigen Scherzen zu überlassen. Mache dich
„schön, Gärtchen, süßes Gärtchen, mache dich schön, aber
„auch nützlich, daß der Herr, der dich angelegt, freien Tisch
„durch dich erlangen kann."
Auf steilen Stufen steigen wir den Fels hinab, Wild-
nis umgibt uns, da klimmt eine Hortensienart Schizo-
phragma hydrangioides an den Felsen empor, dort
wuchert der Giftsumach Rhus toxicodendron, hier sehen
wir die prächtigen Ranken von seltenen Epheuarten Plodora