Full text: Tageblatt der landwirtschaftlichen Wanderausstellung in Cassel 22.-27. Juni 1911 (25, Stück 1.1911)

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Daß ha kein einheitlicher Schlag gezüchtet werden 
konnte, liegt Wohl klar auf der Hand. 
Leider ist es unter der preußischen Verwaltung in den 
ersten 37 Jahren nicht viel besser geworden. 
Im Jahre 1879 wurden zum ersten Male in Gestalt 
von drei Belgiern kaltblütige Hengste eingestellt, und von 
da an hat die Pferdezucht durch planmäßiges Weiter 
verwenden dieser Kaltblüter wieder eine Richtung nach 
oben genommen, und wie sehr die Kaltblutzucht Anklang 
fand und noch findet, zeigt am besten, daß schon 1903 unter 
160 Landbeschälern 96, also 64 Prozent, Kaltblüter waren 
und daß diese Zahl bis Ende 1910 unter 152 Hengsten auf 
108, also auf 71 Prozent, angewachsen war. 
Sollte die Pferdezucht nicht ganz eingehen, so mußte 
allerdings etwas geschehen, denn während in den letzten 
26 Jahren der hessischen Verwaltung von 1972 Hengsten 
119 336 Stuten, also 
von einem Hengst 
60,5 Stuten, gedeckt 
waren, kamen in den 
ersten 37 Jahren der 
preußischen Verwal 
tung auf 3375 
Hengste nur 163 826 
Stuten, also auf 
einen Hengst nur 48,6 
Stuten, das sind 12 
weniger als zu hessi 
scher Zeit. 
Ein solcher Rück 
gang konnte nicht 
ausbleiben, denn bei 
dem planlosen Kreu 
zen mit allen mög 
lichen Schlägen und 
Rassen und nament 
lich durch die eine 
Zeit lang beliebte 
übergroße Benutzung 
von englischem 
Vollblut war der 
frühere hessische Schlag, der zwar spätreif, aber dafür aus 
dauernd und gut gebaut war, in jene Tiere umgewandelt, 
deren Beine dem Oberkörper gegenüber viel zu dünn waren. 
Die Folgen blieben nicht aus, die Militär-Verwaltung 
stellte die Remonten-Einkäufe ein, und auch die Landwirte 
konnten die Tiere nicht mehr brauchen. Einmal hatten sie 
keine Knechte mehr, die mit warmblütigen Pferden umgehen 
konnten, und dann mußten sie auch sehen, ihr Kapital rascher 
umzusetzen; sie konnten keine fünf Jahre warten, bis das 
junge Pferd gebrauchsfähig war, sondern mußten suchen, 
ein solches Pferd zu züchten, welches nach 2—2y 2 \ Jahren 
fertig ausgebildet war und auch keine besondere Pflege be 
anspruchte. Ein solches Pferd findet sich in den Kaltblütern 
des rheinisch-belgischen Schlags. Es konnte daher keinem 
Zweifel unterliegen, daß es Aufgabe der von der Land 
wirtschaftskammer inzwischen errichteten Pferdezucht-Kom 
mission war, die Zucht von Kaltblütern zu begünstigen und 
mehr und mehr auszubreiten. 
Selbstredend konnte und wollte sie die Züchter nicht 
zwingen, überall und unter allen Umständen zur Kaltblut- 
zucht überzugehen, sie hat deshalb auch den Bestrebungen 
der Warmblutzüchter Rechnung getragen; vor allem mußte 
aber zwischen beiden Zuchten eine reinliche Scheidung durch 
geführt werden, damit das Hin- und Herkreuzen aufhörte. 
Um hier einen festen Grund zum Weiterbauen zu haben, 
wurde 1903 das hessische Stutbuch errichtet; im Vergleich 
gegen andere Länder, in denen schon seit langen Jahren 
eine auf denselben Grundlagen beruhende Pferdezucht be 
steht, kann das hessische Stutbuch nicht immer den Blutnach 
weis führen, sondern es muß erst die Wiederbelebung und 
Verbesserung sowohl der edlen Warmblutzucht, als auch die 
Begründung einer gleichmäßigen Kaltblutzucht herbeiführen 
Dementsprechend wurde das Stutbuch in zwei Abteilun 
gen geteilt, eine für edles Warmblut, nach dem Typ von 
Abbildung 1*), die andere für Kaltblut nach dem Typ von 
Abbildung 2*), und der Züchter, welcher seine Stute in 
das Stutbuch eingetragen haben will, muß sich verpflichten, 
seine Stute nur von Hengsten des gleichen Schlages decken 
zu lassen. 
Die Bestrebungen 
sind auf guten Boden 
gefallen, denn wenn 
im ersten Band des 
Stutbuchs enthalten 
waren 313 kaltblü 
tige, 303 warmblü 
tige, zusammen 616 
Stuten, so sind bis 
heute, der Heraus 
gabe des zweiten 
Bandes, zugekommen 
534 kaltblütige, 161 
warmblütige, zusam 
men 695 Stuten. 
Es waren also im 
Anfang fast ebenso 
viel kalt- wie warm 
blütige Stuten, wäh 
rend bis heute fast 
77 Prozent kaltblü 
tige Stuten zugekom- 
men sind, sodaß 
gegenwärtig unter 
den 1311 Stutbuch- 
stuten 847 = 64,6 Prozent Kaltblüter und nur 464 = 35,4 
Prozent Warmblüter eingetragen sind. 
Sehr zu dieser Vermehrung der kaltblütigen Stuten 
hat es beigetragen, daß die Landwirtschaftskammer mit 
Beihilfe des Herrn Landwirtschaftsministers zuerst Absatz- 
fohlen und gegenwärtig IMährige Stutfohlen aus Belgien 
und der Rheinprovinz einführte und öffentlich meistbietend 
an die Züchter verkauft, aber das feste, zielbewußte Vor 
gehen wäre nicht möglich gewesen und hätte nicht die schönen 
Erfolge haben können, wenn die Bestrebungen der Land 
wirtschaftskammer nicht durch die in gleicher Richtung 
gehende Mitwirkung der Landgestüts-Verwaltung unterstützt 
wäre, und wenn diese letztere nicht durch einige noch aus 
hessischer Zeit herrührende Bestimmungen Recht und Macht 
hätte, das Halten von Privathengsten ganz verbieten zu 
können, und dadurch auf letztere den allergrößten Einfluß 
ausübte; und es wäre ein schwerer Schlag für die hessische, 
eben erst wieder aufblühende Pferdezucht, wenn hierin eine 
Änderung einträte. 
*) Die Abbildungen sind mit Erlaubnis des Herausgebers 
dem Werke von Hehler, „Hessische Landes- und Volkskunde" 
entnommen. 3 Bde. Verlag der Elrvert'schen Verlagsbuch 
handlung, Marburg. 
Zirkel Feintein 
Oldenburger Schlag. Landbeschäler im Landgestüt Dillenburg
	        
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