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Daß ha kein einheitlicher Schlag gezüchtet werden
konnte, liegt Wohl klar auf der Hand.
Leider ist es unter der preußischen Verwaltung in den
ersten 37 Jahren nicht viel besser geworden.
Im Jahre 1879 wurden zum ersten Male in Gestalt
von drei Belgiern kaltblütige Hengste eingestellt, und von
da an hat die Pferdezucht durch planmäßiges Weiter
verwenden dieser Kaltblüter wieder eine Richtung nach
oben genommen, und wie sehr die Kaltblutzucht Anklang
fand und noch findet, zeigt am besten, daß schon 1903 unter
160 Landbeschälern 96, also 64 Prozent, Kaltblüter waren
und daß diese Zahl bis Ende 1910 unter 152 Hengsten auf
108, also auf 71 Prozent, angewachsen war.
Sollte die Pferdezucht nicht ganz eingehen, so mußte
allerdings etwas geschehen, denn während in den letzten
26 Jahren der hessischen Verwaltung von 1972 Hengsten
119 336 Stuten, also
von einem Hengst
60,5 Stuten, gedeckt
waren, kamen in den
ersten 37 Jahren der
preußischen Verwal
tung auf 3375
Hengste nur 163 826
Stuten, also auf
einen Hengst nur 48,6
Stuten, das sind 12
weniger als zu hessi
scher Zeit.
Ein solcher Rück
gang konnte nicht
ausbleiben, denn bei
dem planlosen Kreu
zen mit allen mög
lichen Schlägen und
Rassen und nament
lich durch die eine
Zeit lang beliebte
übergroße Benutzung
von englischem
Vollblut war der
frühere hessische Schlag, der zwar spätreif, aber dafür aus
dauernd und gut gebaut war, in jene Tiere umgewandelt,
deren Beine dem Oberkörper gegenüber viel zu dünn waren.
Die Folgen blieben nicht aus, die Militär-Verwaltung
stellte die Remonten-Einkäufe ein, und auch die Landwirte
konnten die Tiere nicht mehr brauchen. Einmal hatten sie
keine Knechte mehr, die mit warmblütigen Pferden umgehen
konnten, und dann mußten sie auch sehen, ihr Kapital rascher
umzusetzen; sie konnten keine fünf Jahre warten, bis das
junge Pferd gebrauchsfähig war, sondern mußten suchen,
ein solches Pferd zu züchten, welches nach 2—2y 2 \ Jahren
fertig ausgebildet war und auch keine besondere Pflege be
anspruchte. Ein solches Pferd findet sich in den Kaltblütern
des rheinisch-belgischen Schlags. Es konnte daher keinem
Zweifel unterliegen, daß es Aufgabe der von der Land
wirtschaftskammer inzwischen errichteten Pferdezucht-Kom
mission war, die Zucht von Kaltblütern zu begünstigen und
mehr und mehr auszubreiten.
Selbstredend konnte und wollte sie die Züchter nicht
zwingen, überall und unter allen Umständen zur Kaltblut-
zucht überzugehen, sie hat deshalb auch den Bestrebungen
der Warmblutzüchter Rechnung getragen; vor allem mußte
aber zwischen beiden Zuchten eine reinliche Scheidung durch
geführt werden, damit das Hin- und Herkreuzen aufhörte.
Um hier einen festen Grund zum Weiterbauen zu haben,
wurde 1903 das hessische Stutbuch errichtet; im Vergleich
gegen andere Länder, in denen schon seit langen Jahren
eine auf denselben Grundlagen beruhende Pferdezucht be
steht, kann das hessische Stutbuch nicht immer den Blutnach
weis führen, sondern es muß erst die Wiederbelebung und
Verbesserung sowohl der edlen Warmblutzucht, als auch die
Begründung einer gleichmäßigen Kaltblutzucht herbeiführen
Dementsprechend wurde das Stutbuch in zwei Abteilun
gen geteilt, eine für edles Warmblut, nach dem Typ von
Abbildung 1*), die andere für Kaltblut nach dem Typ von
Abbildung 2*), und der Züchter, welcher seine Stute in
das Stutbuch eingetragen haben will, muß sich verpflichten,
seine Stute nur von Hengsten des gleichen Schlages decken
zu lassen.
Die Bestrebungen
sind auf guten Boden
gefallen, denn wenn
im ersten Band des
Stutbuchs enthalten
waren 313 kaltblü
tige, 303 warmblü
tige, zusammen 616
Stuten, so sind bis
heute, der Heraus
gabe des zweiten
Bandes, zugekommen
534 kaltblütige, 161
warmblütige, zusam
men 695 Stuten.
Es waren also im
Anfang fast ebenso
viel kalt- wie warm
blütige Stuten, wäh
rend bis heute fast
77 Prozent kaltblü
tige Stuten zugekom-
men sind, sodaß
gegenwärtig unter
den 1311 Stutbuch-
stuten 847 = 64,6 Prozent Kaltblüter und nur 464 = 35,4
Prozent Warmblüter eingetragen sind.
Sehr zu dieser Vermehrung der kaltblütigen Stuten
hat es beigetragen, daß die Landwirtschaftskammer mit
Beihilfe des Herrn Landwirtschaftsministers zuerst Absatz-
fohlen und gegenwärtig IMährige Stutfohlen aus Belgien
und der Rheinprovinz einführte und öffentlich meistbietend
an die Züchter verkauft, aber das feste, zielbewußte Vor
gehen wäre nicht möglich gewesen und hätte nicht die schönen
Erfolge haben können, wenn die Bestrebungen der Land
wirtschaftskammer nicht durch die in gleicher Richtung
gehende Mitwirkung der Landgestüts-Verwaltung unterstützt
wäre, und wenn diese letztere nicht durch einige noch aus
hessischer Zeit herrührende Bestimmungen Recht und Macht
hätte, das Halten von Privathengsten ganz verbieten zu
können, und dadurch auf letztere den allergrößten Einfluß
ausübte; und es wäre ein schwerer Schlag für die hessische,
eben erst wieder aufblühende Pferdezucht, wenn hierin eine
Änderung einträte.
*) Die Abbildungen sind mit Erlaubnis des Herausgebers
dem Werke von Hehler, „Hessische Landes- und Volkskunde"
entnommen. 3 Bde. Verlag der Elrvert'schen Verlagsbuch
handlung, Marburg.
Zirkel Feintein
Oldenburger Schlag. Landbeschäler im Landgestüt Dillenburg