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und eine Einzelbehandlung wenigstens einer Anzahl
Selbstbiographien nötig sein würde. Es handelt sich
64 für mich gewissennassen nicht um die Autobiographien,
sondern um das Autobiographische. Während den Lit@rar=
historiker an dem Thema interessieren würde, wie in
jener Zeit Autobiographien geschrieben wurden, frage
ich; Weshalb schrieben die Menschen jener Epoche
die Geschichte ihres eigenen Lebens, und das Wie kommt
mir nur soweit in Betracht als es mich auf jenes
Weshalb hinführt. In dem so die Frage zeitpsychologisch
gefasst wird, erweitert und verengert sich der Umfang
des Materials im Vergleich mit dem, das der Literar=
65 historiker heranziehen müsste: Wegfallen wird für
mich alles denkschriftartige, alles was einer von
aussen aufgenötigten Tendenz entspringt, was eine be=
stimmte Meinung über den Verfasser und seine Taten
hervorrufen sollte; hinzuastziehen darf ich alles,
was jene Stimmung in der ein Mensch aus dem deutschen
Kulturkreis jener Zeit an die Darstellung seines Le=
bens heranging, irgendwie beleuchtet; hinzuziehen
muss ich ferner manches Dokument, auch wenn das Jahr
seiner Veröffentlichung oder seines Entstc5hens ausser= I
halb der im Thema bezeichneten Zeitgrenzen liegt -
wenn nur der, der es schrieb, ein Mensch jener Zeit
66 war; denn für die seelengeschichtliche Betrachtung
ist - wieder im Gegensatz zur literargeschichtlichen -
das Geburtsjahr des Werkes von weit geringerer Bedeu=
tung als der Geburtstag seines Schöpfers - womit na=
türlich auch nicht der standesamtlich gebuchte physi=
sehe Geburtstag gemeint ist, sondern sein "alter
dies natalis", der Geburtstag seiner Seele.-
8.XI.
Die Naturwissenschaft stellt sich die Aufgabe, das
Naturganze causal zu erklären; Zwecke kennt sie nur,
insofern sie ihr als psychologische Tatsachen gege=
ben sind; als solche müssen sie auch in dem causalen
Zusammenhang eingereiht werden. Dem Anspruch«^ auf
67 Allgemeingültigkeit der causalen Deutung entzieht sich I
nauh der Ansicht der Vitalisten das ganze Gebiet des
Lebendigen, des Organisierten: hier sei für das
Geschehen "der Zweck klar der Grund nicht zu erkennen.
"Die Zweckmässigkeit des Organischen, jene wechsel=
seitige Beziehung zwischen dem Ganzen und seinen
Gliedern, die wir am Organismus wahrnehmen und da, I
wo wir sie noch nicht kennen, aufsuchen, sie ist es, I