Full text: Ein Ausflug nach Madeira

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Das Tal von Säo Vincente ist eines der grössten der Insel und 
auffallend breit; es hat auch keinen emheitlichen Taiboden, sondern ist 
durch einige niedere Grate und Rücken mehrfach geteilt, was die Aus 
blicke während der Talwanderung besonders reizvoll und malerisch 
macht; es ist üppig bewachsen und gut angebaut. Bei meinem frühen 
Aufbruch kämpften die Morgennebel hoch über der Talsohle noch 
lange ihren Todeskampf mit der Sonne, und dieses Wogen der zer 
rissenen Nebelschleier über den immer wechselnden Ausblicken auf die 
verschiedenen Teile des Tales, auf das Meer und die allmählich auf 
tauchenden Gipfel der Zentralkette, die über die Scharte der Encumeada 
emporwuchsen, bot ein höchst anziehendes Schauspiel dar. 
Schon etwa 200 m unter der Passhöhe verschwanden die Nebel 
vollständig, und als ich dann auf die Passhöhe kam und noch etwa 
20 m weiter auf den nächsten Bergvorsprung kletterte, hatte ich ein 
wunderbar schönes Bild. Nach Norden erblickte ich durch das breite 
malerische Tal von Sao Vincente und über die hohen Uferfelsen hinweg 
das tiefblaue Meer, rechts und links erhoben sich noch zu recht be 
trächtlichen Höhen und zum Teil in schroffen Abstürzen die Berge der 
Zentralkette, im Süden erstreckte sich das wilde, unendlich tief ein 
geschnittene Tal der Ribeira brava (Serra d’Agoa), durch das man 
ebenfalls auf den weiten Ozean hinaussah, dazu die wundervollen Farben 
kontraste zwischen dem Blau des Himmels, des Meeres und dem ver 
schieden abschattierten Grün der Täler, sowie den dunklen, kahlen Felsen 
— ein Bild, das sich würdig meinen schönsten Erinnerungen anreiht. 
Dann ging’s etwas hinunter ins Tal der Ribeira brava (des „wilden 
Flusses") bis zur Station der Encumeada, und von da umging der Weg 
annähernd auf der Horizontallinie alle die letzten Talverzweigungen der 
Ribeira brava, wobei sich höchst interessante, abwechselungsreiche Blicke 
in diese wilden, engen, schön bewaldeten Schluchten ergaben. Hier 
finden sich noch ganze Wälder des Tilbaumes (Oreodaphne foetens), 
deren älteste Exemplare allerdings schon ganz oder fast ganz ab 
gestorben sind und mit ihren kahlen, vertrockneten Ästen einen 
gespensterhaften Eindruck machen. Dieser lorbeerähnliche Baum liefert 
das sehr geschätzte Holz, aus dem die zum Teil wunderschönen Ein 
legearbeiten auf Madeira gemacht werden. Leider werden die Bäume 
immer nur gefällt, aber nirgends wieder angepflanzt, so dass alte, schöne 
Bäume schon grosse Seltenheiten sind. 
Dann fängt der Weg wieder an zu steigen und geht in teilweise 
unsinniger Steilheit und miserabler Beschaffenheit, die jedes Reiten un 
möglich machen, an den Abhängen des Pico Grande (oder Rocha alta, 
wie er von den Eingeborenen meistens genannt wird) in die Höhe, 
überragt von dem mehrere hundert Meter hohen, ganz senkrechten 
Gipfelabsturz dieses imponierenden Berges. 
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