Full text: Handbuch des Kreises Melsungen (Jahrgang 16.1935)

schwenkt und sich an dem kleinen Schubfensterchen 
im Schankraum für 16 Kreuzer — etwa 25 Psg. 
mit vorzüglichem Augustinerbräu füllen läßt. Dann 
setzten wir uns zwischen die aus allen einheimischen 
Volkskreisen bunt zusammengewürfelten Gäste, die 
ihr Radigrün mit Käspapier und Abfällen landes 
üblich einfach unter den Tisch warfen und in harm 
los fröhlichem Plaudern ihre Maßkrüge leerten nach 
dem über der Eingangstür stehenden Spruch: 
„Bist Du stuff, geh' in's Stllbl, 
Folg dem Ruf. weg ist's Uebel", 
und ergötzten uns an dem breitgemütlichen Aus 
druck und der sorglos humorvollen, urwüchsigen 
Lebensauffassung dieser vergnügten Leute. Hier be 
standen die Gäste eben noch aus richtigen Salz 
burgern, anders als in München im Hofbräuhaus, 
wo man oft vor zahllosen Fremden kaum noch 
Einheimische finden kann. Das Salzburger Land, 
aus dem noch jetzt vor 200 Fahren unter Erzbischof 
Leopold Anton Graf Firmian fast 100 Fahre 
nach dem 30jährigen Kriege 30 000 evangelische 
Salzburger vertrieben wurden und meist nach Preu- 
stm kamen, war noch bis zur Reueinteilung des 
Reiches 1802 wegen Abtretung des linken Rhein 
ufers an Frankreich ein geistlicher Staat als Fürst- 
Erzbistum, weshalb die Stadt Salzburg zahlreiche 
prunkvolle Kirchen und Klöster auszuweisen hat, 
und nahmen die Fürstbischöfe eine bevorzugte Stelle 
unter den Reichsfürsten ein. Nachdem das Land 
sogar kurze Zeit nach dem Reichsdeputationshaupt- 
ichluß von 1802 bis 1805 Kurfürstentum war, kam 
es an Oesterreich, durch Napoleon I. an Bayern 
1810, und 1816 wieder an Oesterreich, außer dem 
Salzquellen- und Salzbergwerksgebiet von Berchtes 
gaden und Reichenhall, das Bayern behielt. Dies 
Berchtesgadener Ländchen war das Ziel unseres 
nächsten Ausflugs, der uns über das damals 
kaiserliche österreichische Schloß Hellbrunn mit schö 
nem Park zum Drachenloch am 1975 Meter hohen 
schroffen Marmorgebirgsstock Untersberg führte, der 
zwischen dem österreichischen Salzburg und Bayern 
geteilt wurde, um den Regenten beider Länder An 
teile an den kostbaren Marmorbrüchen zu geben, aus 
denen die Baustoffe zu den Salzburger Kirchen 
bauten geliefert wurden, und woher der kunst 
sinnige. bis 1848 regierende (1868 gest.) König Lud- 
ivig l. Augustus von Bayern, dessen Biographie 
von Sepp (Schaffhausen 1869) ich besitze, der Er 
bauer des deutschen Nationaltempels, der wie eine 
griechische Akropolis aussehenden 1842 geweihten 
„Walhalla" bei Regensburg-Donaustauf, und des 
kurz unterhalb des 775 von Herzog Thassilo ge 
stifteten Benediktinerklosters Weltenburg errichteten 
deutschen Ehrentempels, der 1863 zur 50jährigen 
Gedenkfeier von Leipzig geweihten „Befreiungs 
halle" bei Kehlheim an der Donau, seine Marmor- 
blöcke bezog. Bon da ging es weiter im engen 
Kriindchen des Almflüßchens hinauf über Schellen- 
berg bis zum Salzbergwerk, nach Berchtesgaden, 
diesem Schmuckstück einer kleinen Salinenstadt, mit 
ihrem reizend gelegenen kleinen Königsschloß, der 
malerischen Gesamtanlage und der wunderschönen 
Bergumrahmung mit dem stolzen, schneeverhüllten, 
sihroffen 2740 Meter hohen Watzmann als Hinter 
grund. Wir wanderten dann in dem engen Felsen 
grund an der Königsseeache hinauf zum Königssee, 
der in seiner wilden, gewaltigen Bergeinsamkeit 
seinesgleichen sucht und in der Romantik seiner 
Lage wohl nur mit dem aber viel belebteren, im 
Zuge einer Völkerstraße liegenden Urnersee, dem 
obersten Teile des Vierwaldstättersees, verglichen 
werden kann. Damals (1900) gab es noch keine 
Dampfer oder Motorboote auf dem Königssee, und 
wir nahmen beim Gasthaus zum Schiffsmeister eines 
der schlanken, von einem Steuermann geführten 
und zwei kräftigen Frauen in malerischer gestickter, 
münzen- und edelweißgezierter Tracht, mit keckem 
rundem Hütchen und runden Schielhahnfedern, aus 
der nahen Ramsau, geruderten langen Boote zu 
einer Fahrt über den 10 Kilometer langen, 2 Kilo 
meter breiten See. Um einen kleinen Landvorsprung 
herum kamen wir bald zum Malerwinkel, der Name 
spricht für sich. wo der Bootsführer einige Pistolen 
schüsse löste, die an den teilweise senkrecht aus dem 
See aufsteigenden Felswänden ein vielstimmiges 
Echo hervorriefen. An dieser Stelle soll ein 
Wallfahrerschifflein mit allen Insassen im Sturm 
gescheitert und untergegangen sein. Man hat von 
da einen überwältigend großartigen Blick fast über 
die ganze Länge des Sees, über den von einem 
fernen, vom Gletscherwasser des Eisbachs herabge 
schwemmten flachen Borland die kleine zwiebelför- 
mig behelmte zweitürmige Wallfahrtskapelle Sankt 
Bartholomä mit Gasthaus und königlichem Fagd- 
schlößchen, die wir dann erreichten, herübergrüßte. 
Hier wurde eine Ruder- und Eßpause gemacht und 
eine Platte der ganz vorzüglichen den See in gro 
ßer Menge belebenden Saiblinge, einer Salmoniden 
art, verzehrt. An einem nahen Wildgatter war ein 
weißer Hirsch, der mir Zuckerstückchen aus der Hand 
nahm, ein Förster, mit dem ich sprach, nutzte das 
Gras des Vorlandes persönlich und betreute die 
königlichen Forsten und Gemsenreviere des Watz- 
' manngebiets. die der große Weidmann Prinzregent 
Luitpold von Bayern gern besuchte. Fn dem Gast 
haus waren zahlreiche farbige Bilder der größten 
in dem See im Lause der Zeiten gefangenen köst 
lichen Fische in Lebensgröße an den Wänden auf 
gehangen. mit Angaben über Größe und Fangzeit. 
Wir besuchten die Kapelle, schrieben uns ins aus 
gelegte Fremdenbuch ein und träumten und plau 
derten unter den Bäumen vor dem Hause, in diesem 
weltabgelegenen, abgesehen von einem Gemsenpfad 
über den Gebirgskamm, durch keine Straße, außer 
dem Wasserweg über den See mit der Außenwelt 
verbundenen märchenhaft schönen, idyllischen Glanz 
punkt der bayrischen Alpen, von der bei herrlichstem 
Sonnenschein so schön verlaufenen Fahrt. Weiter 
ging die Bootsahrt im Angesicht der schroffen Watz- 
mannwände, an dessen unteren Hängen Schnee 
lawinen uns entgegenleuchteten, dem Süduser des 
Königssees entgegen, wo mich die anscheinend ganz 
nahen Schneefelder verlockten ein Stück Packschnee 
heranzuholen. Fch lief und lief über immer grö 
ßeres Felsgeröll, immer steiler bergan, und merkte 
erst jetzt, wie sehr die Riesenbergwände und die 
klare Luft über die Entfernung getäuscht hatten; 
aber ich stieg weiter, schließlich auf allen Vieren, bis 
ich den völlig vergletscherten Schnee erreicht hatte, 
aber nur mit einem Taschenmesser ein Stück nach 
und nach abhauen konnte. Das Herunterkommen 
war fast noch schwieriger als der Aufstieg. Fn 
großen Sprüngen eilte ich über die gewaltigen mit 
allerlei Gestrüpp durchwachsenen Felsbrocken berg 
ab und kam schließlich wieder oberhalb unserer 
Boothaltestelle, an dem eine mit Alpenblumen über 
säte Wiesenhalde durchströmenden in den Königssee
	        
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