Full text: Geschichte des Kurfürstentums Hessen

Stimmung in Hessen 1806 
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Volk gefügt. Die ganze Umwälzung war so plötzlich gewesen, daß die 
im patriarchalischen Regimente, in der Zuversicht auf die landesväter 
liche Weisheit ihres Regenten aufgewachsene Generation gar nicht recht 
zur Besinnung zu kommen vermochte. Franzosen hatte man vor Jahren, 
im Siebenjährigen Kriege, schoir öfters im Lande gehabt, das war also 
schließlich nichts Unerhörtes. Aber daß man keinen Flintenschuß getan 
hatte, um sich seiner Haut zu wehren, das wollte nicht in die hessi 
schen Köpfe. Der Kurfürst hielt es dieser weit verbreiteten Stimmung 
gegenüber für nötig, sein Verhalten am 1. November durch eine eigen 
händig verfaßte „Kurze Darstellung der bei der Okkupation von Hessen 
vorgefallenen Auftritte" zu rechtfertigen, um ben Nachweis zu erbringen, 
daß er Cassel und Hessen habe verteidigen wollen, und daß nur durch 
die Schuld seiner Generale die schmähliche Überrumpelung gelungen sei. 
Diese Darstellung, gegen die der darin besonders angegriffene General 
v. Webern später eine Gegenerkläruitg in Archenholz' Minerva erließ, 
wurde aber nur der Casseler Regierung und einzelnen hessischen Offizieren 
bekannt und drang nicht in die weitere Öffentlichkeit. 
Die Entlvafftiung der hessischen Soldaten war verhältnismäßig 
ruhig vor sich gegangen, sie war ja noch auf kurfürstlichen Befehl ge 
schehen, und, wenn auch zähneknirschend, mußte doch Order pariert 
werdet!. Aber als dann die alten Soldaten ivaffenlos mit dem Stecken 
in der Hand aus ihren Garnisonen auf das Land kanten, mit Tränen 
in den Augen und mit grimmigen Flüchen auf den Lippen unter ihren 
gewichsten Schnurrbärten, wie sie die Fäuste ballten und erzählten, daß sie 
hätten fortgehen müssen vor den Franzosen, ohne einen Schuß zu tun, 
daß der Kurfürst verjagt sei imb sie nun ihre Gewehre aus lauter Bos 
heit in tausend Granatenstücken zerschlagen hätten, da sing es auf dem 
Lande, wo Generationen von Familien lebten, in denen Soldatenehre 
und Soldatentreue erblich war, zu grollen an. Es bedurfte nur eines 
Anstoßes, um diesen Groll zum Ausbruch kommen zu lassen. 
Napoleon hatte nicht die Absicht, die von ihm keineswegs unter 
schätzte militärische Kraft des eroberten Landes ungenützt zu lassen. 
Mitte November erließ der Gouverneur Lagrange mehrere Ausrufe zur 
Bildung neuer Regimenter in Hessen, die in französischen Dienst treten 
sollten. In dem Major v. Müller vont Gardegrenadierregiment, den wohl 
der Groll über die schwache Politik des Kurfürsten und die Wut über 
das schimpfliche Ende des Heeres in das feindliche Lager trieb, fand 
der Franzose ein williges Werkzeug bei seinem Unternehmen. Der ge 
wünschte Erfolg blieb indessen aus. Mit geringen Ausnahmen weigerten
	        
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