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Verwendung des Reptilienfonds
ungemein reichen Nüttel uns den beschlagnahmten fürstlichen Vermögen
besüitders zu einer wohlorganisierten Stimmungsmache verwandte,
wie sie die Weltgeschichte bis dahin noch nicht gekannt hatte. Da alle
Quittungen und Belege über die Verwendung der Gelder regelmäßig
vernichtet wurden, so werden die Einzelheiten der dunkeln Geschichte
des „Reptilienfonds" sich wohl niemals ganz aufklären lassen. Jeden
falls arbeitete seitdem die aus ihm gespeiste Presse nicht nur der an
nektierten Länder, sondern des gesamten In- und Arislandes, soweit
sie dieser Beeinflussung zugänglich war, mit Hochdruck im Sinne der
Bismarckschen Regierung, indem sie die Segnungen der Errungenschaften
von 1866 pries und die Opfer dieser Zeit mit Hohn und Spott über
schüttete. Die alten deutschen Fürstenhäuser von Hannover und Hessen
suchte inan nach Bismarcks Vorbild als undeutsche Ester und Bra
chacker Dynasten zu brandmarken, und die teils entstellten, teils völlig
erfundenen Anekdoten I von dem Exkönig und Exkurfürsten, init denen
sich die Spalten der Zeitungen füllten, dienten ebenso zur Bearbeitung
der öffentlichen Meinung, wie die Schauergeschichten aus der Ver
gangenheit der annektierten Länder, von denen namentlich die alte Mär
vom hessischen Soldatenhandel eine fröhliche Renaissance erlebte und
weidlich ausgeschlachtet wurde. Gegenüber dieser Stimmungsmache hatte
die althessische Partei, der nur die im Machtbereich der preußischen
Regierung erscheinende „Hessische Volkszeitung" zu Gebote stand, einen
schweren Stand. Im kurfürstlichen Lager selbst konnten nur zwei hessische
Federn den ungleichen literarischen Kampf aufnehmen, von denen die
gewandte des Kabinettsrats Schimmelpfeng in einer glänzend ge
schriebenen Schrift „Das Kurfürstentum Hessen, seine Annexion und seine
Wiederherstellung" die Trabertsche Totengräberbroschüre vom konservativen
„revolutionär-legitimistischen" Standpunkt aus ergänzte, während sein
Adjutant Preser mit gröberen Waffen die „göttliche Mission Preußens"
in mehreren Flugschriften angriff und auch zuerst dem Soldatenhandels
schwindel energisch zu Leibe ging.
Ein erheblicher Teil der kurfürstlichen Gelder wurde übrigens zu
gunsten des hessischen Landes verwandt, indem verschiedene Nutz- und
Luxusbauten davon bezahlt wurden, für die die frühere Regierung keine
Mittel gehabt hatte. Die Ruine der Katlenburg wurde 1869 niederge
rissen, und Kurfürst Friedrich Wilhelm nmßte mit Ingrimm vernehmen,
*) 3u ben unschuldigsten gehörte die damals verbreitete, noch jetzt in weiten
Kreisen fest geglaubte Legende, daß in der Ahnengallerie der Wilhelmhöher Schloß
kuppel nur noch ein Platz — für das Bild des letzten Kurfürsten! — übrig fei.