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Der Kurfürst gefangen Neuer preußischer Bündnisantrag
Postenkette schmuggelte, einen Geleitsbrief von Beyer für die Abreise
des Hofes zu erhalten, der aber verweigert wurde?) Mel zu spät kam
jetzt die Reue über den unglücklichen Entschluß des Ausharrens, und
die Minister, die am 21. im Billardzimmer des Schlosses zum letzten
Male um ihren Herrn versammelt waren, mußten bittere Vorwürfe da
rüber hören, daß sie ihn durch ihren Rat in diese Lage gebracht hatten.
Nach der Rückfahrt nach Cassel ivurde nun auch der Kriegsniinister
v. Meyer seid verhaftet und als Gefangener nach Minden gebracht.
Die Vorkehrungen der preußischen Gefangenwärter ließen nichts
Gutes ahnen. Während der Nacht bivouakierte eine Kompagnie auf
der Esplanade, und rings um das Schloß brannten Wachtfeuer, wo
für kurfürstliche Marstallsbeamte das Holz aus dem Habichtswald hatten
herschaffen müssen. Niemand durfte das Schloß, in dem die Lebens
mittel schon knapp wurden, weder verlassen noch betreten. Am nächsten
Morgen mußte der Kurfürst mit ansehen, wie die Tochter des preußi
schen Gesandten v. Röder mit ihrem Pferde die wohlgepflegten Teppich
beete vor dem Schlosse zerstampfte und mit den preußischen Offizieren
unter seinem Fenster auf den Sieg der preußischen Waffen die aus dem
kurfürstlichen Keller gefüllten Champagnergläser erklingen ließ. Ihr
Vater hatte, ohne seine Pässe zu fordern, am 16. Cassel verlassen und
war auf dem Wege nach Berlin vor der westfälischen Grenze von den
Hofgeismarer Husaren festgehalten?), dann aber auf Befehl des Obersten
v. Baumbach wieder freigelassen worden. Jetzt war er wieder in Cassel,
aber als militärischer Oberbefehlshaber an Stelle des den Hannoveranern
entgegenziehenden Beyer. Unter diesen veränderten Umständen erschien
er am Abend des 22. auf Wilhelmshöhe, um einen neuen Druck auf
den gefangenen Kurfürsten auszuüben. Im Auftrag seines Königs legte
er noch einmal einen preußischen Bündnisantrag vor, zugleich mit dem
Begehren, daß das Ministerium gewechselt und die Verfassung von 1831
durchgeführt (!) würde. Der Kurfürst, der seine Empörung über die ihm
widerfahrene Behandlung nicht unterdrücken konnte, lehnte jede Verhand
lung ab, so sehr er auch den brennenden Wunsch hatte, die Freiheit
seiner Bewegung wieder zu erhalten.
0 In seinen Erinnerungen erzählt Alban, ein anfangs van dem preußischen
General ausgestellter Geleitsbrief sei ihm nachträglich infolge telegraphischer Nachricht
aus Berlin wieder abgenommen worden.
2 ) In seiner Begleitung soll sich der Fürst von Waldeck befunden haben.
Daß dieser aber, wie in Kühls „Geschichte des 13. Husarenregiments" behauptet
wird, in Cassel den Kurfürsten für Preuße» zu gewinnen gesucht habe, ist sonst
nicht bekannt geworden.