Landtagsabschied 1863 Bundesreformpläne
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das die Rechte des Landesherrn bei der Besetzung des obersten Gerichtes
wiederhergestellt hatte, entstand deshalb ein lebhafter Kampf. Er verlief
aber ergebnislos, da die Stände die von dem Ministerium vorgelegten
vermittelnden Gesetzentwürfe nicht annahmen. Dagegen erfuhr die gesamte
Gerichtsorganisation durch die Gesetze vom 28. Oktober 1863 eine von
den Ständen gebilligte durchgreifende Neuordnung, bei deren Vor-
bereitung Otto Bähr, der besonnenste und rechtskundigste unter den
Führern der Liberalen, die Regierung beriet. Die Zahl der Obergerichte
wurde wieder von zwei auf fünf (Cassel, Marburg, Fulda, Hanau,
Rinteln) erhöht, und Zivil- und Strafprozeß in neuzeitlicher Weise
umgebildet. Die von Hassenpflug eingesetzten besondern Kriminalgerichte
kamen in Wegfall. Als Bähr kurze Zeit darauf vom Kurfürsten zum
Mitglied des Oberappellationsgerichts ernannt wurde, da wagten selbst
die unentwegtesten Verfechter der Rechtskontinuität die „Illegalität" dieser
Ernennung (ohne Präsentation der Landstände) nicht anzufechten.
Am 31. Oktober 1863 wurde die Ständeversammlung zum ersten
Male seit langer Zeit (1848) wieder mit einem formellen Landtags
abschied geschlossen, den sämtliche Ständemitglieder nach altem Brauche
unterschrieben. Dieser Landtagsabschied, der mit Genugtuung die Ge
haltsaufbesserung der Mehrzahl der Staatsdiener sowie die Erhöhung der
Zuschüsse zu den Kosten der Universität erwähnte, außer den fünfzehn
erlassenen Gesetzen freilich auch einer beträchtlichen Zahl noch unerledigt
gebliebener Fragen gedachte, war der letzte, der überhaupt in Hessen zu
stande kam.
Seit dem Scheitern der Reichsverfassung war der Wunsch nach
einer Bundesreform im deutschen Volke lebendig geblieben, aber
die Reaktionsperiode mit ihren innerpolitischen Wirren in den meisten
deutschen Ländern konnte der Erfüllung dieses Wunsches nicht zustatten
kommen. Großdeutsche und kleindeutsche Anschauungen standen sich
außerdem schroff gegenüber, und wenn die Anhänger des National
vereins in der sog. Einigung Italiens ein nachahmenswertes Muster
erblickten, so hatte die Aussicht, daß Preußen in Deutschland die von
der piemontesischen Politik vorgezeichneten Bahnen wandeln könnte,
für die von dieser Politik bedrohten Mittelstaaten nichts Erfreuliches.
Beim Regentschaftsantritt des Prinzen von Preußen äußerte der König
von Sachsen in Berlin dem Prinzen offen die Befürchtung der deut
schen Fürsten, daß Preußen sie verschlucken wolle: „die Gassenjungen
von Berlin redeten schon davon". Mit noch größerer Besorgnis sah
man die wachsende Freundschaft Preußens mit Napoleon, dem Wort-
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